Fotograf

Michael Martin, 60

 

„Mein Werkzeug ist die Kamera, ich brauche Bilder und Geschichten“

Man muss Michael Martin nicht fragen, was ihn antreibt. Ein Blick auf seine Fotos genügt. Zumeist sind es Naturaufnahmen, Bilder aus den abgelegensten Orten dieser Welt, Porträts einer einzigartigen Welt; einer Welt, die – zum Teil – im Sterben liegt. Michael Martin gehört zu den bekanntesten Reisefotografen Deutschlands. Seit über 40 Jahren ist er mit seiner Kamera in der Welt unterwegs. Er durchquerte die Wüsten, zog durch die Arktis und Antarktis, erreichte den Nord- und Südpol. Er hat über 30 Bücher veröffentlicht, zuletzt ist sein opulenter Bildband „Terra“ erschienen, ein Buch, in dem er die Reisen von fünf Jahren zusammenfasst, zugleich ist es ein Kniefall vor der Schönheit dieser Welt. In diesem Jahr wurde Martin 60 Jahre alt, kein Grund, etwas das Tempo rauszunehmen. Er sagt: „Das, was ich mit 20 gemacht habe, kann ich auch mit 70 noch tun.“

 

Luftaufnahme am Lake Eyre

Fotos: Michael Martin

Woher diese Neugierde?

Die Neugierde war immer da. Als ich mit 14 Jahren durch das Okular meines Fernrohrs schaute, habe ich den Jupiter und den Saturn gesehen und fand das super spannend. Später habe ich dann Geografie studiert, weil mich die Geschichte der Erde interessierte. Und auch jetzt, beim Projekt Terra, fand ich es super interessant, unsere Erde neu kennenzulernen und zu erfahren, aus was für einem Chaos die Erde kommt – und wie sie zu dem blauen Planeten wurde, den wir Menschen vor 180 000 Jahren vorgefunden haben. Man kann auch sagen: Meine Arbeit entspringt einem ganz tiefen Interesse. Dem Interesse an der Geografie und der Fotografie.

Wie hat sich das Reisen im Laufe der Zeit verändert?

Als ich mit 17 mit dem Mofa nach Marokko gefahren bin, habe ich zur Vorbereitung die deutsche Botschaft in Rabat angeschrieben mit der Bitte um Kartenmaterial und Informationen. Es gab keine detaillierten Straßenkarten damals, es gab kein Internet, es gab auch noch nicht diese alternativen Reiseführer. Und heute, da ist es beinahe egal, wo ich hinfahre, innerhalb von Sekunden habe ich detaillierte Informationen auf meinem Handy. Ich kann Unterkünfte buchen, Kontakt zu Guides aufnehmen, kann mir ein Auto mieten. Das macht es einfacher. Zugleich aber sind meine Reisen auch immer komplexer geworden, weil ich einerseits die immer höheren Erwartungen meines Publikums spüre und sie andererseits aber auch selbst an mich habe; so reise ich etwa in immer entlegene Gebiete.

Gab es schwierige Situationen?

Für das, was ich gereist bin, gab es wenige brenzlige Situationen, in der Regel aber habe ich eigentlich nur positive Erfahrungen gemacht. Denn als Weltreisender wird man tatsächlich oft mit offenen Armen empfangen. Reisen ist nicht gefährlicher als das Leben zu Hause. Und wenn man dazu die Regeln kennt, etwa weiß, dass man in einem Dorf erst mit dem Dorfältesten spricht, bevor man anfängt zu fotografieren, hilft das außerordentlich. Und: Ich lese die Seiten des Auswärtigen Amtes immer sehr genau. Und frage zusätzlich immer noch bei den Einheimischen nach.

Was unterscheidet den jungen Michael Martin von Michael Martin von heute?

Nicht so viel. Ich war schon immer ein Getriebener – und ich war schon immer perfektionistisch. Ich wollte schon immer die größte Leinwand, das beste Plakat, die besten Projektoren. Ich habe den Strom aus der Steckdose schon vor 30 Jahren von 220 auf 240 Volt hochgespannt, um noch mehr Licht aus dem Diaprojektor zu bekommen. Oder nehmen Sie die Bücher. Da wollte ich schon immer die beste Druckqualität. Im Privaten allerdings bin ich bei Weitem nicht so anspruchsvoll; ich brauche kein Büro mit irgendwelchen teuren Möbeln. Aber meine Ausstellungen oder Bücher und die Vorträge, das muss perfekt sein.

Ich war schon immer ein Getriebener – und ich war schon immer perfektionistisch.

Fotos: Michael Martin

Mit den Jahren haben Sie sicher Ihre Erfahrungen gemacht?

Absolut. Es hat auch Vorteile, ein alter Hase zu sein. Man greift auf einen Fundus aus Erfahrungen zurück: wie man etwa mit einem aggressiven Polizisten oder betrunkenen Militärs umgeht, wo man Benzin auftreibt, nach dem Weg fragt, auf Leute zugeht, um ein Bild zu bekommen. Und man bildet mit der Zeit Rücklagen. Corona etwa, das war für unsere Branche eine Katastrophe. Keine Reisen, keine Veranstaltungen. Mich aber hat es gar nicht gestört, weil ich das eher positiv gesehen habe, mich zwei Jahre mal mit anderen Dingen beschäftigen zu können und meine Bücher gut zu schreiben.

Die Zeiten sind nicht eben einfach für Fotografen. Wie kann man dennoch in der Branche bestehen?

Das Live-Erzählen von einer Reise, das ist meine Nische, da habe ich mir einen Namen gemacht. Insgesamt habe ich mehr als 2000 Diavorträge gehalten und stehe auch jetzt wieder mit „Terra“ auf der Bühne. Meinen ersten öffentlichen Vortrag hatte ich 1978, da war ich 15. Der hieß „Frei zu sein bedarf es wenig“. Es ging um meine erste Fahrradreise durch die bayerischen Alpen. Es kamen acht Zuschauer, jeder hat 3 Mark Eintritt bezahlt. Mit 17 habe ich dann meine erste Reise mit dem Mofa nach Afrika gemacht – und auch darüber habe ich einen Vortrag gehalten. Und so ging es immer weiter. Ich habe über 40 Jahre Steinchen für Steinchen aufgebaut und das daraus entstandene Gebäude ist stabil.

Reisen, fotografieren, präsentieren; nutzt sich auf Dauer nicht aber doch das Konzept etwas ab, also für einen selbst? 

Ich habe meine Themen ja immer wieder erweitert. Erst war ich nur in der Sahara unterwegs, dann in den Wüsten Afrikas, dann in allen Wüsten der Erde, dann habe ich das Eis bereist,  und jetzt schaue ich auf die ganze Erde. Ich habe mir quasi immer wieder selbst neue Projekte gestellt – und mir so meine Begeisterung über Jahrzehnte erhalten. Und das Gute ist: das, was ich mit 20 gemacht habe, kann ich auch mit 70 noch machen.

Was hat das Leben, was hat das Reisen Sie gelehrt?

Demut vor der Leistung von Milliarden von Menschen, ein erfülltes Leben unter viel schwierigeren Bedingungen als in Mitteleuropa zu führen.

Welche Rolle spielt das Alter?

Natürlich bin ich älter, bin nicht mehr so fit wie mit 30 und 25 Jahren, ich bin aber auch nie ein super sportlicher Mensch gewesen, insofern ist da nicht so ein Leistungsabfall zu befürchten. Ich bin dieses Jahr 60 geworden, aber ich spüre das Alter nicht, also im negativen Sinn. Das, was ich machen will, kann ich machen – und das hat weniger mit sportlicher Höchstleistung zu tun, sondern vielmehr mit dem Willen und der Mission. Mein Werkzeug ist die Kamera, ich brauche Bilder und Geschichten. Das treibt mich auf Berge oder in Gebiete, wo es anstrengend ist. Wenn ich diese Mission nicht hätte, würde ich schön die Finger davon lassen und dann ganz normal durchs Allgäu wandern.

Mit welchem Blick schauen Sie heute auf die Welt? Als Sie die ersten Reisen gemacht haben, war ja zumindest gefühlt alles noch intakt.

Ach, da war auch nicht alles intakt. Denken Sie an den sauren Regen, denken Sie an Tschernobyl, denken Sie an den Kalten Krieg. Denken Sie an die großen Hungerkatastrophen in Afrika, Biafra, Äthiopien. Das war auch keine heile Welt. Wenn ich zwei Entwicklungen sehe in den vergangenen 40 Jahren, ist es einerseits der Klimawandel, der massive Veränderungen gebracht hat – und zum anderen der Kulturwandel, das ist eigentlich das Auffälligste. Früher habe ich viel mehr traditionelles Leben weltweit erlebt. Und während wir in Mitteleuropa zumindest eine freie Gesellschaft, einen Rechtsstaat, ein Gesundheitssystem bekommen haben, haben viele Menschen in den ärmeren Regionen ihren Kontext verloren. Mit dem Fortschritt kam oft auch die kulturelle Entwurzelung.

Was ist besser geworden?

Viele Dinge sind besser geworden, die Bevölkerungsentwicklung ist abgebremst, die Bevölkerungsexplosion ist vorbei. Wir haben keine 2,2 Prozent Wachstum mehr, sondern nur noch gut 1 Prozent. Es gibt viel mehr Krankenhäuser auf der Welt, viel weniger Mütter sterben im Kindbett. Die Kinder sind geimpft, es gibt eine bessere Wasserversorgung, die Armut ist reduziert. Und es hat sich in vielen Ländern eine Mittelschicht gebildet.

Wie behält man den positiven Blick?

Man muss immer beide Seiten sehen. Wir haben Corona besiegt, Aids im Griff, im Rhein schwimmen keine toten Fische mehr; das sind ja auch alles Meilensteine. Sicher, es gibt viele negative Entwicklungen auf der Welt, zum Beispiel diese himmelschreiende Ungerechtigkeit zwischen Nord und Süd, die Schere geht immer weiter auf. Aber es gibt auch viele gute Entwicklungen. Man muss es differenziert sehen.

Sind Sie Optimist?

Ich bin weder Optimist noch Pessimist. Ich glaube an die Klugheit der Menschheit, ich bin kein Typ, der den Kopf in den Sand steckt. Sicher, es ist vieles ganz furchtbar. Aber am Ende des Tages glaube ich, dass wir für viele Dinge, die uns jetzt noch als unlösbar erscheinen, dass wir da eine Lösung finden werden. Als ich studiert habe, prophezeite der Club of Rome das Versiegen der Erdölquellen. Aber es ist völlig anders gekommen. Und so werden wir irgendwann auch den Klimawandel in den Griff bekommen.

Was kommt als Nächstes, welche Pläne haben Sie? 

Ich habe so ein paar Ideen. Aber wie ein Schriftsteller, der gerade ein Buch abgegeben hat, habe ich nicht gleich das nächste Projekt in der Schublade; ich überlege noch hin und her. Aber das ist ja auch das Schöne am Älterwerden, dass man entspannt sein kann.

Buch-Tipp
TERRA – Gesichter der Erde,                
Text- und Fotografie: Michael Martin
Knesebeck-Verlag
Gebunden mit Schutzumschlag
448 Seiten
ISBN 978-3-95728-337-5

Mehr Informationen:
https://www.michael-martin.de

Ich bin dieses Jahr 60 geworden, aber ich spüre das Alter nicht, also im negativen Sinn. Das, was ich machen will, kann ich machen – und das hat weniger mit sportlicher Höchstleistung zu tun, sondern vielmehr mit dem Willen und der Mission.