Tanja Köhler, 56
Psychologin
Tanja Köhler (56)
„Ich bin eine
einsame Wölfin“
Tanja Köhler gehört zu der Sorte Mensch, die morgens gut gelaunt in den Tag springt und die auch sonst nichts leicht aus der Bahn wirft. Auf einer Glücks-Skala von eins bis zehn ordnet sie sich selbst bei 12 ein. Ihr Weg dorthin führte über einen beruflichen Neustart, eine Scheidung und viele inneren Disput. Ihr Rat an andere: ‚Schaut in den Spiegel – und stellt euch die Frage: Was ist es, was dich glücklich macht?‘ Ein Gespräch über Irrwege, Klarheit – und Gänseblümchen des Alltags.
Du arbeitest als Radiomoderatorin, Coach, Beraterin, bist Bestsellerautorin. Wer und wie viele bist du denn?
Ich bin eine schizophrene Persönlichkeit. Man könnte sagen: Von allem ein bisschen. Meine Neugierde auf diese Welt lässt mich in viele Richtungen schauen, ich mag mich tatsächlich nicht gerne festlegen. So bin ich etwa auch ein Naturmensch, das wird, glaube ich, immer etwas vergessen.
Stimmt. In deinem Buch „Rauhnächte“ sprichst du über deine Neujahrswanderungen.
Ja. Diese Wanderungen gehören seit vielen Jahren zu meinen festen Ritualen. Aber auch sonst bin ich jeden Tag bei Wind und Wetter mindestens zwei Stunden draußen. Ich habe einen riesigen Hund, den Luke, der treibt mich an. Morgens um 7 Uhr geht es los. Mittags will er auch noch mal, und abends, wenn ich Lust habe, gehe ich auch noch mal mit ihm raus. Das ist toll, das sortiert das Leben.
Gott sei Dank habe ich meinen Trotzkopf durchgesetzt.
Gilt das schon als Selbsttherapie?
Die Natur gibt mir einfach viel. Und doch sind diese Spaziergänge für mich aber auch eine Art kreativer und klärender Prozess. Beim Gehen befinde ich mich in einem inneren Dialog. Ich habe immer das Handy dabei und sende mir kurze Sprachnachrichten, wenn ich etwa eine Lösung für ein Problem gefunden habe oder mir eine kreative Redewendung einfällt, das mache ich alles von unterwegs.
Du hast einmal gesagt, auf einer Glücksskala von 1 bis 10 würdest du dich bei 12 einordnen.
Mir geht es tatsächlich gut, ich bin glücklich. Was aber nicht heißt, dass ich nicht auch schlechte Tage hätte. Die kommen allerdings nur zweimal im Jahr vor. Und was auch nicht heißt, dass ich ein einfaches Leben hätte. Insgesamt aber bewege ich mich auf einer ganz tollen Basis.
Wie bist du dahin gekommen?
Ich habe in meinem Leben zwei riesige Lebensentscheidungen getroffen, ich nenne sie „Bäm-Entscheidungen“. Das eine war eine schwerwiegende berufliche Entscheidung. Nach dem Abitur machte ich eine Ausbildung zur Kauffrau im Groß- und Außenhandel – und arbeitete in dem Bereich auch vier Jahre. Dann merkte ich aber schnell, dass das nichts für mich ist und meldete mich heimlich für ein Studium in Psychologie an. Als ich meinen Eltern davon erzählte, sagte mein Vater: ‚Wenn du das machst, dann habe ich keine Tochter mehr.‘ Meine Eltern waren zwar nicht prinzipiell gegen ein Studium; nach dem Abitur hätte ich direkt eines machen können. Sie konnten nur nicht verstehen, dass ich einen gut bezahlten Job für ein Studium aufgebe – zumal ich in der Schule nicht gewesen bin. Gott sei Dank aber habe ich mich nicht irritieren lassen, sondern meinen Trotzkopf durchgesetzt.
Paare spüren, wann etwas zu Ende ist.
Und die zweite Entscheidung?
War die Trennung von meinem Mann nach 23 Jahren und einem gemeinsamen Kind. Am Schluss war es dann zwar eine einvernehmliche, tolle Trennung, aber ich habe acht Jahre für diese Entscheidung gebraucht.
Was war passiert?
Wir haben noch das 100er Fest miteinander gefeiert, das heißt, wir haben beide zusammen unseren jeweiligen 50. Geburtstag gefeiert. Das war am 19. November. Und dann, an Weihnachten, habe ich ihm gesagt, es geht nicht mehr. Beziehungsweise, mein Mann war zu dem Zeitpunkt gerade bei seiner Herkunftsfamilie – und ich habe ihm das alles in einer Email geschrieben. Das war der Anfang vom Ende.
Du hast es ihm geschrieben?
Ja, ich konnte es ihm nicht sagen, ich war zu feige. Und ich glaube, für ihn kam es nicht aus heiterem Himmel. Paare spüren, wann etwas zu Ende ist.
Wann war dein Moment der Klarheit, wann wusstest du, dass du dich trennen willst?
Also, dass ich es will, das wusste ich tatsächlich schon acht Jahre davor. Aber die Klarheit, dass ich es nicht mehr aushalte, das wurde mir erst durch die Arbeit an den „Rauhnächten“ bewusst und durch das eigene innere Hineinhorchen. Ich hatte immer den Glaubenssatz, dass ich es besser machen müsste als meine Eltern in ihrer Ehe. Bis ich kapierte, dass „besser machen“ nicht „aushalten“ heißt, sondern dass besser machen heißt, eine gute Trennung hinzukriegen. Es wäre sicher irgendwie eine zeitlang mit uns noch gut gegangen, ich habe ja nicht gelitten in dem Sinne, dass ich geschlagen wurde, wir haben nicht gestritten, aber wir sind uns aus dem Weg gegangen, wir hatten nichts mehr gemeinsam, außer unser gemeinsames Kind.
Wie hat dein Mann reagiert?
Auf die Email erst einmal gar nicht. Aber als er dann wieder Zuhause war, sind wir eine große Runde spazieren gegangen und wir haben darüber gesprochen. Irgendwann schaute er mich dabei ganz ehrlich an und sagte: „Da gibt es, glaube ich, keine Chance mehr für uns.“
Teile dich mit. Sprich darüber. Such dir Hilfe.
Muss man immer erst durch ein tiefes Tal, bevor sich Dinge bessern? Welchen Rat würdest du jemandem geben, der an einem ähnlichen Punkt in seinem Leben steht?
Da gibt es keine pauschalen Antworten. Es hat viel damit zu tun, wie wir gelernt haben, mit Konflikten umzugehen. Ich etwa bin super gut im Beraten von anderen Menschen, und wenn ich mich als externe Beraterin hätte beraten müssen, hätte ich mich schon acht Jahre zuvor in dieses Tal hineingeschickt. Aber ich bin eine einsame Wölfin. Das heißt, ich mache alles mit mir selbst aus, setze eher auf die Strategie der vollendeten Tatsachen, wie ich sie ja schon damals angewendet hatte, als ich meinen Eltern erst von meinem Studium erzählte, als ich den Studienplatz schon hatte. Wenn ich mich aber selbst beraten müsste, würde ich es mir anders empfehlen.
Nämlich?
Teile dich mit. Sprich darüber. Such dir Hilfe.
Wovon ist abhängig, wie jemand mit solchen Fragen und Ängsten umgeht?
Ich denke, das hat ganz viel mit Vorbild zu tun. Wir – die Babyboomer – entstammen ja einer Generation, die ihre Kindheit in der Kriegs- oder Nachkriegszeit verbracht hat. Unsere Eltern mussten lernen, ihre Probleme mit sich selbst auszumachen. Nach dem Motto: „Was jammerst du?“ „Was hast du jetzt für ein Thema?“ „Sei froh, dass du überhaupt lebst.“ Und das ist das, was auch ich mitbekommen habe.
Das heißt, die Umgang mit Problemen wird quasi vererbt?
Die Kinder von damals, also diese Generation der Kriegskinder zwischen 1935 bis 1946, die haben alle etwas Ähnliches erlebt. Ein Drittel ist dabei relativ unbekümmert durch den Krieg gekommen, weil sie gut behütet irgendwo leben konnten. Die haben zwar auch Verluste erlebt, aber nicht so dramatisch. Dann gab es ein Drittel, das traumatisiert worden ist, dazu gehört mein Vater, er ist Jahrgang 1940. Dieser Teil hat zwar schlimme Sachen erlebt, das etwa das eigene Haus zerbombt worden ist, aber sie haben überlebt. Und dann gab es noch das Drittel von Kindern, das damals schwerst traumatisiert worden ist, etwa als Opfer von Straftaten. Und je nachdem, zu welchem Drittel die Eltern zählen, hat man deren Bewältigungsstrategien übernommen, die am Ende fast alle nicht wirklich förderlich sind.
Manche flüchten sich vielleicht deswegen auch in eine depressive Stimmung.
Und davor gibt es kein Entkommen?
Da kommt es darauf an, wie reflektiert man selbst damit umgeht. Also grob gesagt, war die Generation unserer Eltern dazu verdonnert, die Trümmer wegzuräumen. Und wir, also du und ich, wir sind dafür da, unsere seelischen Trümmer wegzuräumen. Und unseren Kindern wieder geben wir mit, wie man damit umgehen kann.
Was aber nicht erklärt, warum ausgerechnet die Lebensmitte für viele Menschen heute so schwierig ist. Oder?
Sagen wir so: Hier geht es um das Besetzen von Freiräumen. Und Freiräume entstehen, wenn Rollen sich verändern. So lange, wie mich etwa mein Sohn gebraucht hat, war keine Zeit, über den Sinn des Lebens nachzudenken oder über meine eigene Endlichkeit. Wenn aber die Zeit kommt, in der man beginnt, einige Rollen abzulegen, weil man etwa in Rente geht oder weil die Kinder ausziehen, entsteht plötzlich ein Freiraum, der gefüllt werden will. Manche wissen dann nicht, wie sie ihn füllen können und flüchten sich deswegen vielleicht auch in eine depressive Stimmung. Wohlgemerkt, das ist jetzt sehr plakativ. Mich suchen üblicherweise ja eher Frauen auf, die nicht geschoben werden wollen, sondern denen ich nur ein bisschen Mut machen muss.
Wenn rauskommt, es braucht erst eine Bäm-Entscheidung, dann such dir Hilfe.
Es geht ihnen um einen Richtungswechsel, um eine Korrektur, nicht um die großen lebensentscheidenen Fragen?
Es geht in der Regel zumindest nicht um komplett neue Lebensentwürfe, häufig sind nur kleine Änderungen vonnöten. Kleine Änderungen, die etwas Großes bewirken. Ich nenne als Beispiel immer gern das Märchen von der Prinzessin, die auf einer kleinen doofen Erbse geschlafen hat; alles tat ihr weh. Dann aber war die Erbse weg und die Prinzessin konnte gut schlafen. Und das heißt im Umkehrschluss: Es müssen nicht immer große Veränderungen sein, sondern man sollte schauen, welche kleinen Veränderungen man hinkriegt, um sagen zu können, ich habe ein erfülltes Leben.
Also Aufbruch in ein selbstbestimmtes Leben. Wie starte ich so etwas – in zwei, drei Sätzen?
Schau in den Spiegel, halte den Blick aus – und stelle dir die Frage: Was ist es, was mich glücklich macht? Wenn die Frage Antwort lautet: Ich bin glücklich, dann ist das doch super. Dann wäre die Anschlussfrage: Was kannst du weiterhin tun, um jeden Tag einen tollen Tag zu haben. Wenn aber rauskommt, es braucht erst ein Bäm, eine Bäm-Entscheidung, dann such dir Hilfe.
Ich nenne es die Gänseblümchen des Alltags.
Und so landet man dann irgendwann bei Glücksgefühl 12 auf der Skala eins bis zehn?
Für mich kann ich sagen: Nach unserer Trennung fing ich wieder an, die kleinen Dinge zu sehen und wertzuschätzen. Und du wirst lachen; jeden Morgen schreibe ich in ein Heft, was ich mir an diesem Tag Gutes für „Beauty und Seele“ tun kann, was ich tagsüber Schönes machen will. Das ist mindestens eine Sache. Egal, ob eine Maniküre oder ein Cappuccino draußen auf der Terrasse. Ich nenne es die Gänseblümchen des Alltags.
Und was hast du dir für heute Schönes vorgenommen?
Ich werde meinen Sohn nachher abholen und wir werden gemeinsam einem süßen Stückchen frönen. Ich freue mich schon diebisch darauf; es sind nur zehn Minuten, aber die Zeit mit ihm ist so kostbar.
Buchtipp:
„Rauhnächte“ – 12 Tage nur für dich.“
Tanja Köhler,
Knesebeck Verlag
144 Seiten
ISBN 978-3957287151
Außerdem von ihr erschienen:
„Vorwärts heißt zurück zu mir –
Aufbruch in ein selbst bestimmtes Leben“
Kösel-Verlag
256 Seiten
ISBN: 978-3466348107
Mehr Infos zu Tanja Köhler hier:
Mir geht es tatsächlich gut, ich bin glücklich. Was aber nicht heißt, dass ich nicht auch schlechte Tage hätte.
Zur Person
Tanja Köhler berät seit über 20 Jahren vor allem mittelständische Familienunternehmen in der Entwicklung der Führungskräfte und Mitarbeiter. Neben ihrer Arbeit als Coach moderiert sie die Radio-Sendung „Sag mal Tanja?!“ auf Antenne 1 Neckarburg. Mit ihrem Sachbuch „Rauhnächte – 12 Tage nur für dich“ landete sie auf der Spiegel-Bestsellerliste.