Triathlet

Konrad Schürmert, 62

 

„Das erste Mal ist wirklich das Allerschönste“

Bis vor wenigen Jahren spielte der Sport im Leben von Konrad Schürmert keine Rolle. Inzwischen gehört der 62-Jährigen aus Viersen in Nordrhein-Westfalen zu den besten Triathleten seiner Altersklasse. Ironman, Challenge Roth, Zugspitz Ultratrail, der Sachbearbeiter ist nicht mehr zu stoppen. Kaum zu glauben, dass er mit Anfang 50 noch bei seinen ersten fünf Kilometern aus der Puste kam. Ein Gespräch über Motivation, Anfängerfehler – und eine Art Wunderheilung dank Sport.

Konrad, Du bist relativ spät zum Sport gekommen. Was war der Auslöser?

Mit einer 5,4 Kilometerrunde fing es im Prinzip an. Ich arbeite beim Zoll, und eine Kollegin hatte 2015 eine Betriebssportgruppe fürs Walken zusammengetrommelt. Nach ein paar Wochen aber merkte ich, dass das mit den Stöcken nichts für mich ist. Ich versuchte dann stattdessen, zu laufen. Am Anfang konnte ich keine 50 Meter am Stück zurücklegen. Trotzdem bin ich dran geblieben. Aber es war ein schwerer Kampf, weil immer im Kopf die Gedanken waren: das ist viel zu anstrengend, du hast dich doch fürs Walken angemeldet, was soll das überhaupt. Nach ein paar Monaten schaffte ich es dann, die fünf Kilometer durchzulaufen. Irgendwann waren es dann zehn Kilometer, und so ging es immer weiter. 2017 kam der erste Halbmarathon in Mönchengladbach. Ein Jahr später der erste Marathon, ebenfalls in Mönchengladbach. Da bin ich unter vier Stunden ins Ziel gekommen.

Hat dich jemand trainiert?

Nein. Das habe ich mir alles selbst erarbeitet. Wenn ich Probleme hatte mit dem Knie oder mit dem Rücken oder so, dann bin ich zum Orthopäden. Der erklärte mir die Zusammenhänge der ganzen Muskulatur und Sehnen. Mit Massagen und Physio gingen die Schmerzen dann weg. Inzwischen mache ich dreimal die Woche 20 Minuten Yoga. Das hilft gut. Und wenn es hier und da mal zwickt, weiß ich mittlerweile, dass ich mich wahrscheinlich zu wenig gedehnt habe.

Von vier Kilometern bis zum Triathlon ist es ein weiter Weg. Wie viel Triathlons sind es denn inzwischen?

2018 habe ich meinen ersten gemacht, Volkstriathlon in Willich: 500 Meter Schwimmen, 20 Kilometer Radfahren, fünf Kilometer Laufen. Ein Jahr später folgten drei Wettbewerbe über die olympische Distanz: 1,5 Kilometer Schwimmen, 40 Kilometer Radfahren und zehn Kilometer. Meine erste Langdistanz war bei der Weltmeisterschaft in Almere.

Langdistanz heißt? 

Das heißt: 3,8 Kilometer schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und dann 42 Kilometer laufen.

Manche versuchen ja ihr Leben lang, einen Pokal vom Ironman nach Hause zu schleppen und ich bring den direkt gleich mit. 

Wow. Was ist das für ein Gefühl, im Ziel anzukommen?

Das ist herrlich. Und da ist es auch egal, ob man eine bestimmte Zeit schaffen möchte oder ob man einfach nur ankommen will. Oder ob es ein Marathon ist oder eine Langdistanz. Das erste Mal ist vom Gefühl her wirklich das Allerschönste. Da hat man auch die größten Emotionen. Da konnte auch ich meine Tränen nicht zurückhalten.

Tränen vor Erschöpfung oder vor Freude?

Freudentränen. Weil, man weiß ja auch, dass es eine wirklich unglaubliche Leistung ist. Es scheitern ja so viele daran, die Distanz überhaupt zu bewältigen. Sei es jetzt in der Vorbereitung – oder noch während des Rennens. In Duisburg habe ich bei der Halbdistanz für den Ironman gleich den zweiten Platz in meiner Altersklasse belegt. Und in Hamburg habe ich den dritten Platz gemacht. Da ist man schon stolz. Manche versuchen ja ihr Leben lang, einen Pokal vom Ironman nach Hause zu schleppen – und ich bring den direkt gleich mit. 

Was motiviert dich zu solchen Herausforderungen? Was treibt dich an? 

Mein vorrangiges Ziel ist eigentlich immer: Ich möchte ankommen und Spaß haben. Das ist bei der Langdistanz zwar nicht immer möglich, da hat man auch mal bei Schmerzen zwischendurch. Aber wenn die Familie dabei ist und die Zuschauer richtig Stimmung machen, das ist dann schon echt toll. Das reicht mir dann eigentlich schon. Und von der Kondition her bin ich eigentlich gar nicht so schlecht dabei. Ich habe ja ein gewisses Alter und weiß auch, dass der altersbedingte Leistungsabfall zwangsläufig irgendwann mal kommt.

Also wirklich geglaubt, dass ich das alles schaffe, das hat am Anfang eigentlich nur meine Familie.

Hast du den Eindruck, dass die Kraft nachlässt?

Nö, bis jetzt nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich erst so spät angefangen habe mit dem Sport.

Wie reagieren die Jungen auf dich? 

Durchweg positiv. Man bekommt viel Lob und Staunen. Einige nehmen mich auch als Vorbild oder sagen: „Super, ich wäre froh, wenn ich in deinem Alter auch diese Leistung bringen würde.“

Und was sagen die Gleichaltrigen?

Die sagen: „Du bist wahnsinnig, du bist bekloppt, hör‘ auf damit.“ Als ich erzählt hatte, dass ich mal Triathlon ausprobieren möchte, da wollte mir auch erst einmal keiner glauben. Also wirklich geglaubt, dass ich das alles schaffe, das hat am Anfang eigentlich nur meine Familie.

Ich hatte zum Beispiel Rücken- und Knieprobleme und dachte immer, ich kann gar keinen Sport machen, weil es dann ja alles noch viel schlimmer wird. Im Grunde genommen aber passierte genau das Gegenteil.“

Wie hat sich dein Leben durch den Sport verändert?

Ich fühle mich heute wesentlich besser als vorher. Ich hatte zum Beispiel Rücken- und Knieprobleme und dachte immer, ich kann gar keinen Sport machen, weil es dann ja alles noch viel schlimmer wird. Im Grunde genommen aber passierte genau das Gegenteil. Dadurch, dass ich angefangen habe mit Sport, wurden die Schmerzen im Knie oder im Rücken immer weniger und dann waren sie irgendwann gar nicht mehr da. Ich war früher auch immer total müde und kaputt und musste mich von der Arbeit ausruhen, um am nächsten Morgen wieder arbeiten gehen zu können. Das ist vorbei. Das hätte ich nie für möglich gehalten.

Und jetzt? Fühlst du dich wie 30?

Ich weiß nicht, wie ich mich mit 30 gefühlt habe. Aber ich fühl‘ mich auf jeden Fall super fit. Früher war es ja so, da ist man mit  60, 65  in Rente oder Pension gegangen und paar Jahre später war man tot, das Rentenalter war quasi schon fast das Lebensende. Ich weiß auch, welche Gebrechen manche in meinem Alter haben. Das ist zum Teil schon heftig.

Wenn ich dann länger los möchte, mach‘ ich das meistens abends. Oder nachts. Dann laufe ich um 4 Uhr los und bin zum Frühstück wieder zu Hause.

Wie hat sich dein Körper verändert in der Zeit?

Also, ich wiege jetzt 74 Kilogramm, früher waren es um die 80. Ich will aber auch nicht zu wenig wiegen. Und das ist auch der Grund, warum ich mich nach einer langen Distanz wiege. Dann weiß ich, jetzt musst du wieder eine ganze Woche kräftig reinhauen, damit du wieder auf deine 74 Kilo kommst.

Reinhauen heißt: Viele Nudeln und ein paar Biere?

Bier ja, dann aber alkoholfrei. Und ansonsten esse ich halt alles, was meine Frau kocht. Heute gab es etwa Bratkartoffeln mit Erbsen, dazu ein Stück Fleisch. Normale Küche.

Das klingt jetzt nicht eben nach einer speziellen Ernährung für einen Supersportler.

Also ich achte jetzt nicht auf irgendwelche Kalorien oder so. Ich habe auch kein Problem, mal Pommes zu essen und da nicht mit der Mayonnaise oder mit dem Ketchup zu sparen. Aber wir essen schon viel Obst, Gemüse, Salat und wenig Fleisch.  

Wie trainierst du? 

Das kommt darauf an. Manchmal laufe ich mittags kurz eine Runde, vielleicht so fünf oder sieben Kilometer. Wenn ich dann länger los möchte, mach‘ ich das meistens abends. Oder nachts. Dann laufe ich um 4 Uhr los und bin zum Frühstück wieder zu Hause. Das Schwimmen dagegen ist geplant. Jeden Montag kraule ich meine zweieinhalb Kilometer. Manchmal noch ein zweites Mal in der Woche, dann donnerstags. Und im Keller habe ich einen asbach uralten Ergometer stehen. Das setze ich mich dann dreimal die Woche drauf für eine Stunde Intervalltraining. Und am Wochenende fahre ich eine längere Tour, so zwei Stunden mit dem Rennrad.

Du  läufst nachts? Warum? 

Ich weiß nicht, ich mache das ganz gerne. Am allerschönsten ist es aber natürlich, wenn man morgens früh ins Helle hineinläuft und die Natur erwacht. Überall zwitschert es, das ist herrlich. Mir ist auch das Wetter egal. Vielen ist es oft zu kalt, zu nass, zu windig, zu heiß. Und ich sage mir immer, wenn ich danach gehe, dann komme ich zu gar nichts.

Ich mach das alles so aus dem Bauch heraus, und vielleicht kommt der Erfolg dann automatisch, wenn man das so macht wie ich.

Was rätst du Anfängern? Wie bleibt man bei der Stange? Welche Fehler sollte man vermeiden?

Ich erzähle immer meine Geschichte vom Walken. Das war ja kein Quatsch. Ich konnte wirklich keine 50 Meter laufen. Die Distanz ist anfangs erst einmal total egal. Erst einmal nur kurze Stücke laufen und dazwischen ein Stück gehen. Und wenn man das dann immer wieder macht und Spaß am Laufen hat, dann kann man die Wege strecken.

Also nicht mit Ziel loslaufen, sondern es eher entspannt angehen? 

Man kann ruhig ein Ziel haben, etwa, die fünf Kilometer zu laufen. So hat es bei mir im Grunde ja auch angefangen. Aber ich glaube, wenn ich mich damals gezwungen hätte, die fünf Kilometer direkt in einem Rutsch durchzulaufen, dann wäre ich danach so kaputt gewesen, dass ich fürs nächste Mal keine Lust mehr gehabt hätte. Ich selbst habe noch nie so viel trainiert, dass ich mich im Anschluss schlecht gefühlt habe. Ich mach das alles so aus dem Bauch heraus, und vielleicht kommt der Erfolg dann automatisch, wenn man das so macht wie ich.

Das klingt alles extrem entspannt. Ist das die Weisheit des Alters? 

Ich glaube eher, es ist eine Typenfrage. Und welche Ambitionen man hat. Ich sehe das ja bei anderen. Die meisten bereiten sich speziell auf diesen einen Tag vor, die trainieren ein Dreivierteljahr auf Teufel komm raus. Ich könnte das nicht. Ich denk‘ dann immer: Ja, und was passiert danach? Das wäre für mich alles zu streng oder zu verpflichtend. Das würde mir den Spaß nehmen. Wenn ich zum Beispiel laufe, dann gucke ich auch mal links und rechts, und wenn ich dann ein schönes Blümchen sehe, dann mache ich auch mal ein Foto. Wenn ich nach festen Regeln laufen würde, dann müsste ich an all dem Vorbeilaufen. Das wäre nichts für mich.

Früher habe ich mehr  unter die Dusche gestanden als ich im Wasser geschwommen bin.

Was ist das Schwierigste beim Wettkampf? Das Mentale oder das Körperliche?

Das Mentale. Man merkt schnell, wenn der Kopf nicht mitspielt, dann nützt alles andere gar nichts. Da kann man so fit sein wie man will, das funktioniert dann einfach nicht.

Welche von den Sportarten ist dir am liebsten? Schwimmen, Radfahren oder das Laufen? 

Wenn ich das einstufen müsste, würde ich sagen: Fahrradfahren und Laufen. Schwimmen ist irgendwie immer so ein bisschen zäh. Viele nennen das auch „Kacheln zählen“, man zieht stupide eine Bahn nach der anderen. Mir macht das prinzipiell nichts aus. Aber ich muss mich, wenn ich im Wasser bin, auch dringend bewegen, sonst ist mir das alles zu kalt. Früher habe ich mehr unter die Dusche gestanden als ich im Wasser geschwommen bin.

Wo siehst du dich in zehn Jahren?

Wenn ich fit und gesund bleibe, mache ich weiter Sport. Und dann werde ich vielleicht einsam in meiner Altersklasse Triathlon machen.

Auf was freust du dich dieses Jahr?

Besonders auf den Ironman in Hamburg. Im Anschluss werde ich in Garmisch beim Zugspitz Ultratrail an den Start gehen. Für den Berlin-Marathon habe ich auch einen Startplatz bekommen. Und mit meiner Tochter werde ich beim Ironman 70.3 Duisburg an den Start gehen. Das wird ihr erstes Mal Triathlondistanz.

Wahnsinn. Ich wünsche dir und euch viel Erfolg