Journalistin
Brigitte Huber (60)
Foto: Andreas Sibler
„60 – das ist eine Zäsur, eine
Unverschämtheit“
Brigitte Huber war fast zwei Jahrzehnte in leitender Position bei der Brigitte, viele Jahre davon als Chefredakteurin. Sie prägte das Magazin in einer Zeit großer Umbrüche. Dann, mit 60, entschied sie sich für einen kompletten Neustart. Sie verließ den Verlag und absolvierte eine Coaching-Ausbildung. Im Interview mit NextChapterNow spricht sie über den Mut, noch einmal neu anzufangen, über die Angst vor einem unverplanten Dienstagmorgen – und das Älterwerden.
Die Essenz des Interviews – als Audio-Zusammenfassung:
https://on.soundcloud.com/FZ4dXK9mRcZ9A82P6

Foto: Gaby Gerster
Liebe Frau Huber, Sie waren viele Jahre Chefredakteurin der Brigitte. Im Oktober 2023 gaben Sie diese Position auf, um sich neuen Herausforderungen zu widmen. Was war der Auslöser für diese Entscheidung?
Es gab nicht den einen Moment, in dem ich dachte: Jetzt ist Zeit für etwas Neues. Das war ein Prozess, kein dramatischer Bruch, sondern ein langsames Loslassen – wie das Ende einer langen Beziehung. Ich habe einmal von einer Therapeutin gehört, dass Frauen oft schon innerlich abgeschlossen haben, wenn sie aus einer Beziehung herausgehen. So ähnlich war es bei mir.
War das eine persönliche Entscheidung?
Das war schon meine Entscheidung. Eigentlich war ich mir immer sicher, dass ich so lange bleibe, wie es geht – ich hatte durchaus auch Lust auf Transformation. Nur: Mit jeder Umstrukturierung, jeder Portfolioüberprüfung, jeder Trennung von großartigen Kolleginnen änderten sich die Dinge ein Stück.
Irgendwann wusste ich: Ich will nicht noch einmal das Gleiche durchmachen.
Von den zehn Magazinen, für die ich einmal verantwortlich war, blieb am Ende nur noch eines. Da habe ich gespürt: Vielleicht ist es gut, wenn jemand mit frischem Blick an die Marke herangeht.
Und der Abschied von den anderen Magazinen, die ich ja selbst mitentwickelt hatte, war für mich auch ein innerer Schnitt. Ich habe für mich gesagt: Das war die Vergangenheit – jetzt will ich mich auf die Gegenwart und die Zukunft konzentrieren.
Gab es Zweifel, ein inneres Ringen?
Natürlich gab es auch die Angst: Werde ich wieder etwas finden, das mich so erfüllt wie das, was ich gerade aufgebe?
Zugleich war mir war immer klar: Das ist zwar ein toller, privilegierter Job – aber es ist nicht mein ganzes Leben, es kann noch mal etwas Neues kommen.
Meine größte Sorge war: Wie geht es mir, wenn ich mein Team nicht mehr um mich habe? Wenn diese klaren Strukturen fehlen, dieser geregelte Alltag.
Ich wusste, ich kann das – ich habe jahrelang als freie Journalistin gearbeitet, habe auch mit Ende 20 schon Bücher geschrieben, ich bin diszipliniert.
Aber ich hatte Respekt davor, wie es sich anfühlt ohne Resonanzfeld, ohne Rückkopplung.
Ich habe mir vorgenommen, endlich ein stabileres Leben aufzubauen, Neues auszuprobieren.
Und natürlich passieren dann auch Dinge: Man verschwindet plötzlich von Gästelisten, auf die man früher automatisch gesetzt war.
Das hatte ich oft gehört – und genauso kam es dann auch. Aber das hat mich nicht wirklich getroffen, eher im Gegenteil: Weniger Verpflichtungen, weniger Termine. Was ich viel eher gespürt habe, war so ein Bauchziehen – und da dachte ich: Genau da liegt das Neue. Das hat mich neugierig gemacht. Ich bin mit 19 Mutter geworden – ich habe keine Hobbys.
Jetzt aber habe mir vorgenommen, endlich ein stabileres Leben neben dem Job aufzubauen, Neues auszuprobieren.
Wie war das, plötzlich ohne diesen Job – ohne das gewohnte Umfeld?
Das war lustig, weil die Leute mich ständig fragten: „Was machst du denn jetzt?“ Und ich habe dann erzählt, dass ich erstmal eine große Reise mache, neun Wochen lang.
Aber das meinten sie gar nicht. Sie wollten wissen, was danach kommt. Und da habe ich gesagt: Ich weiß es noch nicht. Ich weiß nur, was ich nicht machen werde: Ich werde kein Coach, und ich werde kein Buch schreiben.
Ich nehme mir heute den Raum, Dinge auszuprobieren.
Ein Jahr später hatte ich eine Coaching-Ausbildung absolviert. Dabei hatte ich immer gedacht, ich hätte in meinem Leben genug Jobprobleme gelöst – das brauche ich nicht mehr. Aber dann merkte ich: Das Thema, das mich in all den Jahren am meisten interessiert hat, ist letztlich Psychologie. Ich denke: Wenn ich nicht Journalistin geworden wäre, hätte ich vermutlich Psychologie studiert. Also beschloss ich nach dem Urlaub, eine Coaching-Ausbildung in Transaktionsanalyse zu machen – einer Methode, die hilft, Gespräche und Verhalten besser zu verstehen.
Anfangs wollte ich eigentlich nur selbst zu einem Coach gehen – einfach, um mich ein bisschen zu sortieren. Aber dann fand ich Gefallen daran. Ich habe richtig Feuer gefangen.
Man hat am Anfang vielleicht eine Idee, wie es weitergehen könnte – aber vieles klärt sich erst im Tun.
Und gerade arbeite ich an einem Buch. Da war es ähnlich. Ich habe wohl diesen Abschnitt gebraucht, um zu merken: Themen zu finden und darüber zu schreiben – das ist genau das, was mich auch damals zum Journalismus gebracht hat. Ich bin neugierig, ich will verstehen, wie Dinge zusammenhängen, was Menschen antreibt.
Unser Paartherapeut bei der Brigitte, Oskar Holzberg, hatte mir zum Abschied ein Zitat von Joseph Campbell geschrieben:
„Wenn der Weg vor dir klar und deutlich ist, so ist es vermutlich der Weg eines anderen.“
Damals dachte ich: Oskar, wie meinst du das?
Aber allmählich begreife ich. Man hat am Anfang vielleicht eine Idee, wie es weitergehen könnte – aber vieles klärt sich erst im Tun.
Ich nehme mir heute den Raum, Dinge auszuprobieren – und auch wieder sein zu lassen, wenn sie es nicht die richtigen sind.

Foto: Ben Kern
Sie klingen voller Elan und wirken zufrieden.
Das hätte ich anfangs auch nicht gedacht. Ich hatte zum Beispiel immer Angst vor Dienstag, 11 Uhr. Montag geht noch – Sport, Zahnarzt, irgendwas findet sich. Aber Dienstag? Da sind alle aus dem Haus, man hat gefrühstückt, vielleicht eine Runde gedreht – und dann?
Ich hatte von diesen Ängsten damals meinem Lebensgefährten erzählt. Und jetzt sagt er montags manchmal: „Bis morgen, 11 Uhr, Kaffee?“ Und ich brauche immer einen Moment, um zu merken: Ah – Dienstag, 11 Uhr! Aber fast immer ist etwas los. Langweilig ist mir nie. Aber ich gehe jetzt auch nicht mit einem fertigen Plan raus – und setzte den dann brav um. Im Gegenteil.
Vieles, von dem ich dachte, es könnte mein Weg sein, interessiert mich heute nicht mehr.
Worum geht es in Ihrem Buch?
Ein Thema ganz nah an NextChapterNow – nur etwa zehn Jahre später. Es geht ums das 60-Werden.
Ich bin letztes Jahr 60 geworden, und das hat mich stark beschäftigt. Ich sage immer: 60 ist eine Zäsur. Eine Unverschämtheit – aber auch ein Aufbruch. Wir sind eine Generation, die ein neues Terrain betritt. Wenn jemand zu mir sagt: „Hörst du jetzt auf zu arbeiten?“, denke ich nur: Wie bitte? Ich habe doch gerade gefühlt erst angefangen.
Wir sind eine Generation, die ein neues Terrain betritt.
Auf Geburtstagsfeiern, bei Kolleginnen in meinem Alter, kommt häufig die Frage: Und was machst du jetzt? Die große Reise, ein Herzensprojekt – ja. Aber was kommt danach? Diese Frage hat mich nicht mehr losgelassen. Und weil ich nicht allein schreiben wollte, habe ich eine befreundete Journalistin überredet, mitzumachen.
Wir haben ein Konzept geschrieben, einen Verlag gefunden – und im Oktober erscheint unser Buch bei S. Fischer.

Foto: Ben Kern
Was erwartet den Leser?
Es soll ein unterhaltsamer, aber fundierter Ratgeber werden. Persönlich erzählt, mit Anekdoten aus unserem Leben, aber wissenschaftlich recherchiert.
Wir haben Fragebögen entwickelt und sprechen mit Frauen – Role Models und aus dem Bekanntenkreis. Uns interessierte: Welche Pläne habt ihr? Was macht euch stark – oder was glaubt ihr, was es euch stark macht? Gibt es Dinge, die ihr noch über Bord werfen möchtet? Und so weiter.
Das Buch soll Orientierung bieten – aber ohne Anspruch auf eine allgemeingültige Wahrheit.
Und es geht um Premieren. Wie holen wir Erlebnisse gezielt in unser Leben zurück?
Zu Beginn unseres Lebens erleben wir ständig etwas zum ersten Mal. Aber je älter wir werden, desto seltener passiert das. Und oft sind die Premieren dann nicht besonders erfreulich – Bandscheibenvorfall oder erste Reha.
Deshalb interessiert mich: Wie schaffen wir Premieren, die wirklich Freude machen?
Das, was eigentlich eine gute Nachricht ist – nämlich, dass wir älter werden –, kann zum Gespenst werden.
Und dabei geht es nicht um Exklusivität, sondern um das Gefühl, lebendig zu sein – und das ist auch mit kleinen, realisierbaren Dingen möglich. Eine Freundin etwa hat mir erzählt, dass sie sich zu einem Damen-Schafkopf-Turnier angemeldet hatte, Startgebühr: zehn Euro. Sie sagt, sie hatte den besten Tag seit Langem.
Solche Geschichten finde ich spannend, weil sie zeigen: Es braucht gar nicht viel.
Nicht jeder hat das Privileg und die finanziellen Möglichkeiten für einen Neuanfang mit 60.
Genau darüber schreibe ich auch im Buch. Viele Menschen wollen länger arbeiten – nicht unbedingt 40 Stunden, aber sie wollen etwas tun, etwas Neues anfangen.
Aber jede zweite Person in Deutschland hat Angst, im Alter nicht genug zum Leben zu haben. Und bei Frauen ist diese Sorge noch größer. Da bekommt Arbeit plötzlich eine ganz andere Notwendigkeit.
Ich habe neulich mit einem Kollegen gesprochen. Seine Mutter ist 94 geworden – und er meinte: Das könnte ich mir gar nicht leisten.
Und da merkt man: Das, was eigentlich eine gute Nachricht ist – nämlich, dass wir älter werden –, kann zum Gespenst werden. Die Rücklagen reichen vielleicht für zehn Jahre, aber für 20 oder 30? Nein.
Ich finde, Altersarmut ist ein riesiges Thema.
Sprechen Sie aus persönlichen Erfahrungen?
Ich war selbst naiv. Bis 40 habe ich gedacht: Altersvorsorge? Spießig. Wer macht denn so was? Zum Glück gab es Begegnungen – etwa mit Helma Sick (Finanzexpertin, Anm. der Redaktion) – die mich wachgerüttelt haben. Ich war gerade frisch geschieden und habe gemerkt: Ich habe mir nie Gedanken gemacht, jetzt wird’s Zeit.
Und diesen Impuls habe ich heute oft bei jungen Frauen: Denkt vom Ende her. Ganz egal, ob ihr viel oder wenig verdient, heiratet oder nicht – denkt an übermorgen, auch wenn es sich erst mal altmodisch anfühlt.
Und ja, mir ist völlig klar, dass ich privilegiert bin. Aber ich habe diesen Posten nicht gezielt angestrebt. Ich komme nicht aus besonders gut situierten Verhältnissen.
Ich war BAföG-Empfängerin, ich hatte keine großen Ansprüche. Und dass sich das alles so gut entwickelt hat, ist schön. Aber es war keineswegs vorgezeichnet..

Foto: Ben Kern
Woher weiß man, ob das Neue das Richtige ist?
Ich glaube, das weiß man eben nicht sofort. Was meinen Sie?
Wenn ich das wüsste, deswegen frage ich.
Ich glaube, es hilft zunächst, in sich hineinzuspüren: Gab es etwas, das mich früher mal brennend interessiert hat? Gibt es Seiten in mir, die ich nie richtig ausgelebt habe?
Vielleicht hat man jahrelang eher introvertiert gearbeitet, obwohl man eigentlich anders ist – oder umgekehrt.
Ich habe auch schon Dinge ausprobiert, bei denen ich dachte: Das passt zu mir. Und dann war es nur mittel.
Es gibt Methoden, mit denen man das strukturieren kann – was hält mich zurück, was zieht mich wohin? Aber letztlich, glaube ich, muss man Dinge ausprobieren.
Als mich jemand fragte, ob ich glaube, dass mir das Coachen Spaß machen wird, konnte ich vor einem halben Jahr nur sagen: Ich weiß es nicht.
Vielleicht kriege ich eine Panikattacke nach fünf Minuten, weil ich denke: Ich kann der Person gegenüber nicht helfen. Und dann macht man es fünfmal – und es wird besser. Man bekommt ein Gefühl dafür. Ich habe aber auch schon Dinge ausprobiert, bei denen ich dachte: Das passt zu mir. Und dann war es nur mittel.
Es geht um Dinge, die man wieder ins Leben holt – neue Interessen, neue Impulse.
Zum Beispiel?
Ich habe ich mit 40 angefangen, Klavier zu spielen. Ich dachte, das ist super zum Abschalten – bis ich merkte, wie mühsam es ist, als Erwachsene etwas ganz Neues zu lernen. Da spielt man eben nicht Chopin, sondern erstmal „Hänschen klein“. Heute würde ich das vielleicht nochmal ganz anders erleben – mit mehr Ruhe und Zeit.
Das ist übrigens auch etwas, das ich durch das Buchprojekt gelernt habe: Lebenslanges Lernen ist wirklich möglich.
Unser Gehirn ist vielleicht nicht mehr so aufnahmefähig wie mit 20 – aber wir wissen viel mehr, wir sind motivierter, und deshalb können wir Dinge auf eine ganz andere Art lernen. Und es geht ja nicht nur um Berufliches. Es geht um Dinge, die man wieder ins Leben holt – neue Interessen, neue Impulse.
Ein Aspekt, den ich bei Brigitte immer spannend fand, waren unsere Dossiers: Da haben wir oft ganz normale Frauen mit ihren Geschichten gezeigt. Und die wurden dann zu Role Models, weil sie ihren Weg gegangen sind, und das inspiriert.

Was bedeutet Älterwerden für Sie?
Ich versuche, mich auf die positiven Seiten zu konzentrieren – und davon gibt es viele.
Ich liebe es zum Beispiel, dass ich belastbarer geworden bin. Dass ich heute wirklich weiß: Ich kriege viele Dinge hin.
Das habe ich auch bei der Coaching-Ausbildung gemerkt – wie viel Freude es mir macht, dass ich heute den Luxus habe, bewusst die Perspektive zu wechseln und nicht wie früher im Berufsalltag, wo man ein festes Ziel hat und es durchsetzen muss – sondern dass ich heute gezielt auch mal auf die andere Seite gehen kann.
Das empfinde ich als echten Freiheitsraum.
Solche Dinge sehe ich als Benefits des Älterwerdens – und auf die konzentriere ich mich.
Ich wurde zu einer Buchvorstellung von Alice Schwarzer geschickt – und dachte damals noch: Brauchen wir die heute wirklich noch?
Dafür schäme ich mich heute.
Aber natürlich gibt es auch Seiten, die weniger schön sind. Ich gehe seit 30 Jahren joggen.
Ich wollte nie einen Halbmarathon laufen – nicht mit 40, und mit 60 erst recht nicht.
Da merkt man schon: Körperlich wird man nicht unbedingt noch ein Überflieger. Aber ich habe zum Beispiel angefangen, mehr Krafttraining zu machen.
Früher habe ich das einmal die Woche gemacht – sehr widerwillig.
Jetzt mache ich es zweimal – immer noch widerwillig, aber mit wachsendem Erfolg.
Im Moment allerdings pausiere ich, weil ich eine Schulterverletzung habe. Aber das gehört eben auch dazu – dass man auf sich achtet.
Ich will fit bleiben. Und ich möchte in meine Gesundheit investieren.
Sie sind mit 19 das erste Mal Mutter geworden und mussten damit früh Entscheidungen treffen: Wie geht’s weiter? Beruf oder Kind – oder alles gleichzeitig? Wie hat diese Erfahrung Sie geprägt?
Ich glaube, das hat viel zu meiner Resilienz beigetragen.
Ich hatte nie die Wahl zwischen Karriere oder Kind – das Kind war schon da.
Meine Eltern haben mich aber sehr unterstützt, gerade weil sie nicht wollten, dass sich ihre Geschichte wiederholt.
Meine Mutter, sie war ebenfalls 19, musste damals ihre Ausbildung abbrechen und heiraten. Bei mir haben meine Eltern gesagt: Du beginnst zu studieren – aber du heiratest jetzt nicht gleich. Ich habe dann mein Abi im Mai geschrieben, im September kam mein Sohn.
Hatten Sie damals das Gefühl gehabt, als Alleinerziehende benachteiligt zu werden?
Ich habe bis etwa 23 oder 24 wirklich geglaubt, Gleichberechtigung sei kein großes Thema mehr. In der Schule hatte ich nie den Eindruck, dass Jungen besser sind oder mehr dürfen. Auch an der Uni oder der Journalistenschule dachte ich: Wir sind auf einem guten Weg. Dann kam mein erstes Praktikum – und meine erste Anstellung bei der Abendzeitung.
Ich erinnere mich: Ich wurde zu einer Buchvorstellung von Alice Schwarzer geschickt – und dachte damals noch: Brauchen wir die wirklich noch?
Dafür schäme ich mich heute, ich hatte es einfach noch nicht verstanden. Aber das kam dann schnell: 90 Prozent der Führungspositionen waren von Männern besetzt. Ich musste mein Kind fast verschweigen. Es wurde komplett ignoriert.
Ich weiß noch, wie es hieß: „Sonntag ist Dienst“ – angesagt am Donnerstag. Und dann musste ich meine Eltern aus Trostberg holen, 100 Kilometer entfernt, damit sie auf meinen Sohn aufpassen.
Es hat sich viel verändert. Nicht so viel, wie wir es gern hätten – aber deutlich.
Ein Kind zu haben war damals ein rein privates Problem. Das kann man mit heute überhaupt nicht vergleichen.
Mir wurde immer signalisiert: Mutter oder Karriere. Beides geht nicht.
Und es gab damals – wir sprechen von den späten 80ern – keine Vorbilder. Keine Chefredakteurin mit Familie.
Das hat mir damals gezeigt: Mit Gleichberechtigung ist es noch lange nicht getan.
Ich habe oft mit jüngeren Kolleginnen gesprochen, die sagten: „Du bist immer noch so optimistisch.“
Und ich habe gesagt: Ja, weil ich den Zeitstrahl sehen kann.
Es hat sich viel verändert. Nicht so viel, wie wir es gern hätten – aber deutlich.
Heute muss keine Mutter mehr so tun, als hätte sie kein Kind. Und das ist ein Fortschritt.
Welche Tipps haben Sie für Menschen, die sich beruflich nochmal neu orientieren möchten – gerade in der zweiten Lebenshälfte?
Ich würde zuerst in mich selbst hineinhören: Was kommt von innen, was regt sich in mir Und: Aufschreiben. Das klingt banal, aber ich erlebe immer wieder, wie hilfreich das ist. Ich weiß von einer Coachin, die Menschen auf den Ruhestand vorbereitet, dass sie eine Liste mit Dingen führen lässt, die sich die Klienten für die Zukunft vorstellen können – und zusammen schauen sie dann über Wochen oder Monate, wie sich die Gewichtung verändert: Manche Ideen fallen ganz raus, andere rücken plötzlich nach oben.
Ein zweiter guter Impuls kommt oft von außen: Gespräche mit Menschen im eigenen Umfeld. Einfach mal fragen: Was siehst du eigentlich in mir? Manchmal erkennt jemand etwas, das man selbst nicht auf dem Schirm hatte.
Dann: Zurückschauen. Gibt es etwas, das früher mal eine Rolle gespielt hat? Vielleicht hat man sich mit 20 oder 30 zwischen zwei Wegen entschieden – und jetzt ist genau der richtige Moment für den anderen.
Dass einem dort plötzlich die eine große neue Idee präsentiert wird – das halte ich für einen Mythos.
Ob man sich komplett neu erfinden muss, ist sehr individuell. Eine Freundin hat mal gesagt: „Man macht vielleicht auch einen Fehler, wenn man all die gesammelte Erfahrung wegwirft, nur um nochmal ganz von vorn anzufangen.“
Andererseits ist es großartig, wenn man als Lernende nochmal neu beginnt. Man bringt dann einen frischen Blick mit, ist neugierig, entdeckt Zusammenhänge, die jemand, der seit 30 Jahren im Beruf ist, gar nicht mehr hinterfragt.
Ich habe erst kürzlich gelesen: Deutschlands ältester Metzger-Azubi ist 65. Und ich dachte nur: Ja – warum denn nicht?
Und auch wenn man auf Studien schaut, zum Beispiel bei Therapeutinnen: Sind die mit 30 Jahren Berufserfahrung wirklich besser als die jungen? Schwer zu sagen. Die einen haben Routine, die anderen bringen Energie und Begeisterung mit – und oft ist genau das wertvoll. Und manchmal lohnt es sich auch ganz pragmatisch, sich ein, zwei Stunden einen guten Coach zu gönnen – um die Gedanken zu sortieren.
Aber dass einem dort plötzlich die eine große neue Idee präsentiert wird – das halte ich für einen Mythos.
Vielleicht weiß man im Innersten längst, wohin es gehen soll – man muss nur den Mut finden, es zuzulassen.
Vielleicht. Und ja – ich wurde im letzten Jahr durchaus von mir selbst überrascht.
Buchtipp:
Erhältlich ab 8. Oktober 2025
„Endlich ich – Wie wir mit 60 anfangen,
unser bestes Leben zu führen.“
Brigitte Huber,
Anne-Bärbel Köhle
Asin: B0F22G44KQ
Wer sich mit Brigitte Huber vernetzen möchte:
Irgendwann wusste ich: Ich will nicht noch einmal das Gleiche durchmachen.
Zur Person
Brigitte Huber war fast zwei Jahrzehnte in leitender Position bei der Brigitte, viele Jahre davon als Chefredakteurin. Sie prägte das Magazin in einer Zeit großer Umbrüche. Aufgewachsen ist sie im oberbayerischen Trostberg, heute lebt sie in Hamburg. Mit 19 wurde sie Mutter – eine Erfahrung, die ihre Haltung zu Beruf und Leben nachhaltig geprägt hat. Nach ihrem Ausstieg absolvierte sie eine Coaching-Ausbildung. Derzeit arbeitet sie mit einer Co-Autorin an einem Buch über das 60-Werden, das im Herbst bei S. Fischer erscheint.