Fotografin
Kristin Schnell, 56
„Ziegen und Schafe sind der Oberknaller. Die sehen immer lustig aus“
Ihre Fotos sind eine Offenbarung: Knallig bunt wie Konfetti und zugleich so berührend, dass es einem die Seele wärmt. Kristin Schnell hat in der Tierfotografie neue Maßstäbe gesetzt. Ihre Models findet sie auf dem Gnadenhof oder inszeniert sie kunstvoll in der Voliere. Mit ihren Bildern gibt sie den Tieren nicht nur ihre Würde zurück; sie sind zugleich ein starker Appell für eine artgerechte Haltung und Mahnung, die Schicksale der Tiere nicht zu vergessen. Kristin Schnell sagt: „Die Tiere inspirieren mich, und vielleicht kann ich durch meine Arbeit ein bisschen mehr Aufmerksamkeit darauf lenken, wie wir mit unseren Mitmenschen und den anderen Kreaturen auf diesem Planeten besser umgehen können – und auch, wie wir vielleicht besser mit uns selbst umgehen.“
Fotos: Kristin Schnell
Vor knapp vier Jahren zog Kristin Schnell von Berlin gemeinsam mit ihrem Mann nach Mecklenburg an die Ostsee. Der Wechsel aufs Land wurde für die Fotografin zu einer Art Weckruf und veränderte ihre Arbeit, weg von der Werbe- und Modefotografie hin zur fotografischen Auseinandersetzung mit Tieren. Entstanden ist dabei etwa die Serie „Not good enough“, für die sie auf dem Gnadenhof „Lotti“ traumatisierte und verletzte Tiere porträtierte, um auf deren Schicksal aufmerksam zu machen. Für ihre Bilder genießt die 56-Jährige internationale Anerkennung; gerade ist ihr spektakulärer Bildband Of Cages and Feathers erschienen. Ein Gespräch über Massentierhaltung, die Kunst der Lichtsetzung und darüber, welches Tier das größte Fotoshooting-Potenzial besitzt.
Frau Schnell, wie sind Sie zur Tierfotografie gekommen?
Ich habe schon immer gerne Tiere fotografiert und sie inszeniert. Mit 13 Jahren fing ich damit an. Irgendwann aber hieß es: ,Was willst du eigentlich immer mit diesen Tierfotos? Das interessiert doch niemanden.‘ Daraufhin habe ich es erst einmal gelassen. Aber als ich mit meinem Mann nach Mecklenburg zog, dachte ich, das wäre eine gute Gelegenheit herauszufinden, was wirklich in mir steckt. Ich fragte mich: ,Was bringt dich eigentlich dazu, morgens aufzustehen und Freude zu empfinden?‘ Die Antwort war: die Tierfotos.
Wenn Sie sagen, Sie haben schon immer Tiere fotografiert, von was für Tieren reden wir da?
Ich erinnere mich etwa daran, dass wir einmal den Wellensittich von Freunden zu Besuch hatten. Er war gelb, und ich habe ihn vor einem gelben Hintergrund auf eine Zitrone gesetzt. Oder ich habe einen Mann gefragt, ob ich seinen Hund fotografieren dürfte. Eigentlich war das damals gar nicht so anders als das, was ich heute mache – nur jetzt natürlich professioneller und mit 30 Jahren Berufserfahrung.
Umzug führte zu Wandel in fotografischer Ausrichtung
Und dann?
Als wir aufs Land zogen, wurde mir klar, was Tierhaltung wirklich bedeutet. Nicht, dass ich nicht liebe, wo ich lebe, aber meine Nachbarn etwa hielten Hasen in kleinen Boxen in der Garage ohne jedes Licht, und wenn die geschlachtet wurden, dann teilweise vor ihren Kameraden. Ich dachte, das gibt es doch nicht. Davon inspiriert fragte ich bei Massentierhaltern in der Umgebung an, ob ich ihre Tiere fotografieren dürfe, die Antwort war aber immer die gleiche: ,Du spinnst wohl‘. Dann stieß ich auf den Gnadenhof – damit begann ein neues Kapitel. Zuerst fotografierte ich nur Tiere mit weißem Fell, um ihr gemeinsames Schicksal zu dokumentieren, später dann alle anderen.
Der Umzug aufs Land veränderte Ihre Wahrnehmung?
Bis dahin hatte ich eine andere Vorstellung von Tierhaltung. Plötzlich aber befand ich mich in einer Gegend, in der Massentierhaltung existiert oder die Menschen einfach nicht gut mit den Tieren umgehen.
Fotografie auf dem Gnadenhof
Sie landeten quasi in der Realität?
Ja, es ist Wahnsinn! Ich bin noch mit den Feldlerchen aufgewachsen, heute sieht man kaum noch wilde Tiere – höchstens mal einen Hasen oder Fasan. Es ist zwar schön bei uns, aber abends kommen Trecker und behandeln die Felder mit Pestiziden. Die Monokulturen für Biogas haben die Vielfalt zerstört. Für mich sind die porträtierten Vögel eine Metapher für Freiheit, auch für meine eigene. Die Tiere inspirieren mich, und vielleicht kann ich durch meine Arbeit ein bisschen mehr Aufmerksamkeit darauf lenken, wie wir mit unseren Mitmenschen und den anderen Kreaturen auf diesem Planeten besser umgehen können – und auch, wie wir vielleicht besser mit uns selbst umgehen.
Wie reagierten die Tiere auf dem Gnadenhof Sie?
Es war, als spürten die Tiere in diesem Moment die besondere Aufmerksamkeit – vielleicht merkten sie sogar, dass es etwas Positives ist. Die Tiere, die auf dem Gnadenhof leben, wurden von ihren früheren Besitzern ja nicht eben gut behandelt, sie haben ein ziemlich bitteres Leben hinter sich.
Es war, als spürten die Tiere in diesem Moment die besondere Aufmerksamkeit – vielleicht merkten sie sogar, dass es etwas Positives ist.
Wie durchgeplant gehen Sie bei der Arbeit vor?
Ich schaue mir die Tiere vorher an und überlege, welche Hintergrundfarbe am besten zu ihnen passt. Am Anfang, wie gesagt, habe ich nur weiße Tiere fotografiert. Aber später kombinierte ich Farben, weil gerade eine zweite Farbe das Potenzial der ersten noch stärker zur Geltung bringt. Zum Beispiel habe ich zwei braune Ziegen vor einem blauen Hintergrund fotografiert, das sah irre schön aus. Ich arbeite oft mit kräftigem Gegenlicht und setze vorne ein härteres Licht im Stil der 1920er-Jahre ein – ähnlich wie damals bei Filmstars oder in der Beauty-Fotografie.
Was geht in Ihnen während der Arbeit vor?
Eigentlich nicht so viel. Beim Fotografieren nehme ich nicht so sehr Kontakt zu den Tieren auf, sondern konzentriere mich eher auf meine Arbeit hinter der Kamera. Aber es ist, als nutzen die Tiere die Bühne für sich selbst. Da war zum Beispiel ein Esel: Zunächst war er sehr schüchtern. Ein Jahr später aber fotografierte ich ihn erneut und er war kaum wiederzuerkennen. Er schaute nicht mehr scheu nach unten, sondern lachte jetzt sogar, weil seine Pflegerin mit ihm das Lachen geübt hatte. Dieser Esel hatte tatsächlich sein Vertrauen in die Menschen zurückgewonnen.
Herangehensweise an die Fotografie
Welches Schicksal beschäftigte Sie besonders?
Am grausamsten finde ich die Massentierhaltung von Hühnern. Tausende Tiere, die ohne Tageslicht auf engstem Raum leben und ständig Eier legen müssen, bis sie völlig ausgelaugt sind. Nach 14 Monaten werden sie dann mit LKWs nach Polen oder anderswohin transportiert, wo man sie lebendig schreddert, weil sie sowieso schon so ein beschissenes Leben hatten. Anschließend kommen sie als Tierfutter zurück. Das nennt sich „Haltungsform vier“, mit der man noch großspurig wirbt. Bei uns in der Gegend gibt es übrigens keinen einzigen Supermarkt, der Fleisch aus ethischer Tierhaltung anbietet.
Das ist bitter.
Manchmal können Gnadenhöfe Tiere freikaufen oder Tierschützer versteckte Hühner retten, bevor Ställe gereinigt werden. Innerhalb von Monaten erholen sich die Tiere sichtbar, auch wenn sie dann oft nur noch eine Lebenserwartung von höchstens nur noch zwei Jahren haben; den Stress der Vergangenheit können sie nicht mehr aufholen. Sie sitzen in der Sonne, scharren im Boden, ihre Federn wachsen nach, und nach drei bis vier Wochen legen sie auch nicht mehr ständig Eier. Stattdessen pendelt es sich auf den normalen Rhythmus von einem Ei pro Tag ein.
Neue Perspektiven
Kann ein Foto zu realistisch, zu gut sein?
Ich denke, ein Foto kann nicht zu schön oder zu intensiv sein. Manche Tiere fotografiere ich bewusst ein bisschen kitschig, um Aufmerksamkeit zu erregen und um zu vermeiden, dass die Leute denken: ,Ach, schon wieder so ein misshandeltes Tier‘. Deshalb separiere ich die Tiere auch aus ihrer natürlichen Umgebung, damit nichts ablenkt und der Blick ausschließlich auf das Tier gerichtet ist.
Wodurch wird ein Porträt besonders berührend?
Wenn die Tiere auf den ersten Blick vielleicht ein bisschen oberflächlich schön wirken, man aber auf den zweiten Blick erkennt, dass es geschundene Tiere sind. Wenn zum Beispiel ein Auge fehlt, ein Ohr verletzt ist, der Rücken krumm oder die Hufe entzündet sind. So etwas berührt.
Tiere mit Model-Qualitäten
Welches Tier hat das größte Fotoshooting-Potenzial, wer sind echte Poser?
Das sind definitiv die Ziegen, die sind der Oberknaller. Oder die Schafe. Die sehen immer lustig aus, egal, wie die sich hinstellen. Sie sind neugierig und witzig. Einmal war da eine grau gestreifte Straßenkatze, immer, wenn ich im Stall fotografierte, saß sie im Hintergrund und beobachtete uns. Die Tierpflegerin meinte: ‚Mensch, fotografiere sie doch mal!‘ Als ich das tat, stellte sich die Katze plötzlich auf die Hinterbeine, als wollte sie sagen: ‚Schau, ich habe auch weißes Fell am Bauch!'“
Echt?
Es war, als wollte sie schon die ganze Zeit fotografiert werden. Und als es endlich soweit war, setzte sie sich perfekt in Szene.
Zukünftige Vorhaben
Inwiefern unterscheidet sich Ihre Arbeit heute von früher?
In den vergangenen dreißig Jahren habe ich vor allem Kinder und Jugendliche fotografiert, oder in der Werbung gearbeitet – zum Beispiel für Nuk, die Schnullerfirma, oder für Kataloge. Ein Teil der Shootings fand auf Curaçao statt. In der Karibik aber ist das Licht zur Mittagszeit immer senkrecht, sodass man nur mit zusätzlichem künstlichem Licht fotografieren kann. In dieser Zeit habe ich unglaublich viel über Lichtsetzung gelernt, ich muss nicht mehr viel experimentieren.
Welche Parallelen gibt es zwischen Tierfotografie und Kinder-/Jugendmode?
Im Grunde sind beides professionelle Schnappschüsse. Auch mit Kindern kann man, je nach Alter, vielleicht maximal eine halbe Stunde arbeiten. Das Set muss vollständig aufgebaut sein, die Kleidung bereits angezogen, und dann setzt man das Kind hinein. Man hat dann nur wenige Minuten, in denen alles passen muss. Bei meinen Vögeln ist es allerdings anders, da muss ich viel mehr Geduld aufbringen, weil die Voliere so groß ist und sich das Licht ständig verändert. Da muss ich lernen loszulassen, aber gleichzeitig sofort bereit zu sein, wenn der Moment da ist.
Gewonnene Freiheit
Wie hat der Umzug aufs Land Sie verändert?
Etwa in Bezug auf meine eigene Freiheit. Eigentlich wollte ich nie Grundbesitz oder ein Haus haben, weil ich mir die Möglichkeit offenhalten wollte, jederzeit woanders hinziehen zu können. Ich fand das Landleben auch immer etwas beengend, aber jetzt, wo wir ein schönes Haus haben und viel Platz für Freunde, habe ich das Gefühl, ein Stück meiner eigenen Freiheit gewonnen zu haben.
Gibt es Pläne, die Arbeit auf dem Gnadenhof fortzusetzen?
Das wäre schön. Aber bisher haben die Verlage eher abgewinkt; sie sehen darin mehr ein Sachbuch als ein Kunstbuch. In den letzten sechs Monaten habe ich mich vor allem auf mein Vogelbuch konzentriert, und auch in der nächsten Zeit werde ich daran weiterarbeiten.
Der Blick zurück
Was hätten Sie rückblickend gerne früher gewusst?
Ich hätte gerne früher gewusst, daß die letzten 30 Jahre die Männer bevorzugt wurden, in der Modefotografie und in der Kunstwelt. Das hat sich in den letzten Jahren geändert, Frauen werden ernster genommen und haben es dadurch in der Kunstwelt inzwischen etwas einfacher.
Was machen Sie heute anders?
Ich versuche, Freiheit in meinen Bildern zu schaffen, indem ich meine eigenen Grenzen überschreite. Ich gebe dem Bild die nötige Freiheit, die es braucht, um ein neues Bild entstehen zu lassen. Ich versuche nicht mehr, etwas zu erzwingen, sondern bin gelassener, im Gegensatz zu meiner früheren Arbeitsweise.
Buch-Tipp
Of Cages and Feathers
Kristin Schnell
KEHRER Verlag
128 Seiten
ISBN 978-3969001806
Mehr Informationen:
https://www.kristin-schnell.de/
Infos zum Gnadenhof:
https://www.aktiontier-lottihof.de/
Ich versuche, Freiheit in meinen Bildern zu schaffen, indem ich meine eigenen Grenzen überschreite.
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