Konrad Schürmert, 62

Konrad Schürmert, 62

Triathlet

Konrad Schürmert, 62

 

„Das erste Mal ist wirklich das Allerschönste“

Bis vor wenigen Jahren spielte der Sport im Leben von Konrad Schürmert keine Rolle. Inzwischen gehört der 62-Jährigen aus Viersen in Nordrhein-Westfalen zu den besten Triathleten seiner Altersklasse. Ironman, Challenge Roth, Zugspitz Ultratrail, der Sachbearbeiter ist nicht mehr zu stoppen. Kaum zu glauben, dass er mit Anfang 50 noch bei seinen ersten fünf Kilometern aus der Puste kam. Ein Gespräch über Motivation, Anfängerfehler – und eine Art Wunderheilung dank Sport.

Konrad, Du bist relativ spät zum Sport gekommen. Was war der Auslöser?

Mit einer 5,4 Kilometerrunde fing es im Prinzip an. Ich arbeite beim Zoll, und eine Kollegin hatte 2015 eine Betriebssportgruppe fürs Walken zusammengetrommelt. Nach ein paar Wochen aber merkte ich, dass das mit den Stöcken nichts für mich ist. Ich versuchte dann stattdessen, zu laufen. Am Anfang konnte ich keine 50 Meter am Stück zurücklegen. Trotzdem bin ich dran geblieben. Aber es war ein schwerer Kampf, weil immer im Kopf die Gedanken waren: das ist viel zu anstrengend, du hast dich doch fürs Walken angemeldet, was soll das überhaupt. Nach ein paar Monaten schaffte ich es dann, die fünf Kilometer durchzulaufen. Irgendwann waren es dann zehn Kilometer, und so ging es immer weiter. 2017 kam der erste Halbmarathon in Mönchengladbach. Ein Jahr später der erste Marathon, ebenfalls in Mönchengladbach. Da bin ich unter vier Stunden ins Ziel gekommen.

Hat dich jemand trainiert?

Nein. Das habe ich mir alles selbst erarbeitet. Wenn ich Probleme hatte mit dem Knie oder mit dem Rücken oder so, dann bin ich zum Orthopäden. Der erklärte mir die Zusammenhänge der ganzen Muskulatur und Sehnen. Mit Massagen und Physio gingen die Schmerzen dann weg. Inzwischen mache ich dreimal die Woche 20 Minuten Yoga. Das hilft gut. Und wenn es hier und da mal zwickt, weiß ich mittlerweile, dass ich mich wahrscheinlich zu wenig gedehnt habe.

Von vier Kilometern bis zum Triathlon ist es ein weiter Weg. Wie viel Triathlons sind es denn inzwischen?

2018 habe ich meinen ersten gemacht, Volkstriathlon in Willich: 500 Meter Schwimmen, 20 Kilometer Radfahren, fünf Kilometer Laufen. Ein Jahr später folgten drei Wettbewerbe über die olympische Distanz: 1,5 Kilometer Schwimmen, 40 Kilometer Radfahren und zehn Kilometer. Meine erste Langdistanz war bei der Weltmeisterschaft in Almere.

Langdistanz heißt? 

Das heißt: 3,8 Kilometer schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und dann 42 Kilometer laufen.

Manche versuchen ja ihr Leben lang, einen Pokal vom Ironman nach Hause zu schleppen und ich bring den direkt gleich mit. 

Wow. Was ist das für ein Gefühl, im Ziel anzukommen?

Das ist herrlich. Und da ist es auch egal, ob man eine bestimmte Zeit schaffen möchte oder ob man einfach nur ankommen will. Oder ob es ein Marathon ist oder eine Langdistanz. Das erste Mal ist vom Gefühl her wirklich das Allerschönste. Da hat man auch die größten Emotionen. Da konnte auch ich meine Tränen nicht zurückhalten.

Tränen vor Erschöpfung oder vor Freude?

Freudentränen. Weil, man weiß ja auch, dass es eine wirklich unglaubliche Leistung ist. Es scheitern ja so viele daran, die Distanz überhaupt zu bewältigen. Sei es jetzt in der Vorbereitung – oder noch während des Rennens. In Duisburg habe ich bei der Halbdistanz für den Ironman gleich den zweiten Platz in meiner Altersklasse belegt. Und in Hamburg habe ich den dritten Platz gemacht. Da ist man schon stolz. Manche versuchen ja ihr Leben lang, einen Pokal vom Ironman nach Hause zu schleppen – und ich bring den direkt gleich mit. 

Was motiviert dich zu solchen Herausforderungen? Was treibt dich an? 

Mein vorrangiges Ziel ist eigentlich immer: Ich möchte ankommen und Spaß haben. Das ist bei der Langdistanz zwar nicht immer möglich, da hat man auch mal bei Schmerzen zwischendurch. Aber wenn die Familie dabei ist und die Zuschauer richtig Stimmung machen, das ist dann schon echt toll. Das reicht mir dann eigentlich schon. Und von der Kondition her bin ich eigentlich gar nicht so schlecht dabei. Ich habe ja ein gewisses Alter und weiß auch, dass der altersbedingte Leistungsabfall zwangsläufig irgendwann mal kommt.

Also wirklich geglaubt, dass ich das alles schaffe, das hat am Anfang eigentlich nur meine Familie.

Hast du den Eindruck, dass die Kraft nachlässt?

Nö, bis jetzt nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich erst so spät angefangen habe mit dem Sport.

Wie reagieren die Jungen auf dich? 

Durchweg positiv. Man bekommt viel Lob und Staunen. Einige nehmen mich auch als Vorbild oder sagen: „Super, ich wäre froh, wenn ich in deinem Alter auch diese Leistung bringen würde.“

Und was sagen die Gleichaltrigen?

Die sagen: „Du bist wahnsinnig, du bist bekloppt, hör‘ auf damit.“ Als ich erzählt hatte, dass ich mal Triathlon ausprobieren möchte, da wollte mir auch erst einmal keiner glauben. Also wirklich geglaubt, dass ich das alles schaffe, das hat am Anfang eigentlich nur meine Familie.

Ich hatte zum Beispiel Rücken- und Knieprobleme und dachte immer, ich kann gar keinen Sport machen, weil es dann ja alles noch viel schlimmer wird. Im Grunde genommen aber passierte genau das Gegenteil.“

Wie hat sich dein Leben durch den Sport verändert?

Ich fühle mich heute wesentlich besser als vorher. Ich hatte zum Beispiel Rücken- und Knieprobleme und dachte immer, ich kann gar keinen Sport machen, weil es dann ja alles noch viel schlimmer wird. Im Grunde genommen aber passierte genau das Gegenteil. Dadurch, dass ich angefangen habe mit Sport, wurden die Schmerzen im Knie oder im Rücken immer weniger und dann waren sie irgendwann gar nicht mehr da. Ich war früher auch immer total müde und kaputt und musste mich von der Arbeit ausruhen, um am nächsten Morgen wieder arbeiten gehen zu können. Das ist vorbei. Das hätte ich nie für möglich gehalten.

Und jetzt? Fühlst du dich wie 30?

Ich weiß nicht, wie ich mich mit 30 gefühlt habe. Aber ich fühl‘ mich auf jeden Fall super fit. Früher war es ja so, da ist man mit  60, 65  in Rente oder Pension gegangen und paar Jahre später war man tot, das Rentenalter war quasi schon fast das Lebensende. Ich weiß auch, welche Gebrechen manche in meinem Alter haben. Das ist zum Teil schon heftig.

Wenn ich dann länger los möchte, mach‘ ich das meistens abends. Oder nachts. Dann laufe ich um 4 Uhr los und bin zum Frühstück wieder zu Hause.

Wie hat sich dein Körper verändert in der Zeit?

Also, ich wiege jetzt 74 Kilogramm, früher waren es um die 80. Ich will aber auch nicht zu wenig wiegen. Und das ist auch der Grund, warum ich mich nach einer langen Distanz wiege. Dann weiß ich, jetzt musst du wieder eine ganze Woche kräftig reinhauen, damit du wieder auf deine 74 Kilo kommst.

Reinhauen heißt: Viele Nudeln und ein paar Biere?

Bier ja, dann aber alkoholfrei. Und ansonsten esse ich halt alles, was meine Frau kocht. Heute gab es etwa Bratkartoffeln mit Erbsen, dazu ein Stück Fleisch. Normale Küche.

Das klingt jetzt nicht eben nach einer speziellen Ernährung für einen Supersportler.

Also ich achte jetzt nicht auf irgendwelche Kalorien oder so. Ich habe auch kein Problem, mal Pommes zu essen und da nicht mit der Mayonnaise oder mit dem Ketchup zu sparen. Aber wir essen schon viel Obst, Gemüse, Salat und wenig Fleisch.  

Wie trainierst du? 

Das kommt darauf an. Manchmal laufe ich mittags kurz eine Runde, vielleicht so fünf oder sieben Kilometer. Wenn ich dann länger los möchte, mach‘ ich das meistens abends. Oder nachts. Dann laufe ich um 4 Uhr los und bin zum Frühstück wieder zu Hause. Das Schwimmen dagegen ist geplant. Jeden Montag kraule ich meine zweieinhalb Kilometer. Manchmal noch ein zweites Mal in der Woche, dann donnerstags. Und im Keller habe ich einen asbach uralten Ergometer stehen. Das setze ich mich dann dreimal die Woche drauf für eine Stunde Intervalltraining. Und am Wochenende fahre ich eine längere Tour, so zwei Stunden mit dem Rennrad.

Du  läufst nachts? Warum? 

Ich weiß nicht, ich mache das ganz gerne. Am allerschönsten ist es aber natürlich, wenn man morgens früh ins Helle hineinläuft und die Natur erwacht. Überall zwitschert es, das ist herrlich. Mir ist auch das Wetter egal. Vielen ist es oft zu kalt, zu nass, zu windig, zu heiß. Und ich sage mir immer, wenn ich danach gehe, dann komme ich zu gar nichts.

Ich mach das alles so aus dem Bauch heraus, und vielleicht kommt der Erfolg dann automatisch, wenn man das so macht wie ich.

Was rätst du Anfängern? Wie bleibt man bei der Stange? Welche Fehler sollte man vermeiden?

Ich erzähle immer meine Geschichte vom Walken. Das war ja kein Quatsch. Ich konnte wirklich keine 50 Meter laufen. Die Distanz ist anfangs erst einmal total egal. Erst einmal nur kurze Stücke laufen und dazwischen ein Stück gehen. Und wenn man das dann immer wieder macht und Spaß am Laufen hat, dann kann man die Wege strecken.

Also nicht mit Ziel loslaufen, sondern es eher entspannt angehen? 

Man kann ruhig ein Ziel haben, etwa, die fünf Kilometer zu laufen. So hat es bei mir im Grunde ja auch angefangen. Aber ich glaube, wenn ich mich damals gezwungen hätte, die fünf Kilometer direkt in einem Rutsch durchzulaufen, dann wäre ich danach so kaputt gewesen, dass ich fürs nächste Mal keine Lust mehr gehabt hätte. Ich selbst habe noch nie so viel trainiert, dass ich mich im Anschluss schlecht gefühlt habe. Ich mach das alles so aus dem Bauch heraus, und vielleicht kommt der Erfolg dann automatisch, wenn man das so macht wie ich.

Das klingt alles extrem entspannt. Ist das die Weisheit des Alters? 

Ich glaube eher, es ist eine Typenfrage. Und welche Ambitionen man hat. Ich sehe das ja bei anderen. Die meisten bereiten sich speziell auf diesen einen Tag vor, die trainieren ein Dreivierteljahr auf Teufel komm raus. Ich könnte das nicht. Ich denk‘ dann immer: Ja, und was passiert danach? Das wäre für mich alles zu streng oder zu verpflichtend. Das würde mir den Spaß nehmen. Wenn ich zum Beispiel laufe, dann gucke ich auch mal links und rechts, und wenn ich dann ein schönes Blümchen sehe, dann mache ich auch mal ein Foto. Wenn ich nach festen Regeln laufen würde, dann müsste ich an all dem Vorbeilaufen. Das wäre nichts für mich.

Früher habe ich mehr  unter die Dusche gestanden als ich im Wasser geschwommen bin.

Was ist das Schwierigste beim Wettkampf? Das Mentale oder das Körperliche?

Das Mentale. Man merkt schnell, wenn der Kopf nicht mitspielt, dann nützt alles andere gar nichts. Da kann man so fit sein wie man will, das funktioniert dann einfach nicht.

Welche von den Sportarten ist dir am liebsten? Schwimmen, Radfahren oder das Laufen? 

Wenn ich das einstufen müsste, würde ich sagen: Fahrradfahren und Laufen. Schwimmen ist irgendwie immer so ein bisschen zäh. Viele nennen das auch „Kacheln zählen“, man zieht stupide eine Bahn nach der anderen. Mir macht das prinzipiell nichts aus. Aber ich muss mich, wenn ich im Wasser bin, auch dringend bewegen, sonst ist mir das alles zu kalt. Früher habe ich mehr unter die Dusche gestanden als ich im Wasser geschwommen bin.

Wo siehst du dich in zehn Jahren?

Wenn ich fit und gesund bleibe, mache ich weiter Sport. Und dann werde ich vielleicht einsam in meiner Altersklasse Triathlon machen.

Auf was freust du dich dieses Jahr?

Besonders auf den Ironman in Hamburg. Im Anschluss werde ich in Garmisch beim Zugspitz Ultratrail an den Start gehen. Für den Berlin-Marathon habe ich auch einen Startplatz bekommen. Und mit meiner Tochter werde ich beim Ironman 70.3 Duisburg an den Start gehen. Das wird ihr erstes Mal Triathlondistanz.

Wahnsinn. Ich wünsche dir und euch viel Erfolg

Ingo Froböse, 66

Ingo Froböse, 66

Sportwissenschaftler

Ingo Froböse (66)

 

Fotos: Sebastian Bahr (3)

„Ich gehe nicht in die Kathedrale der gesunden Ernährung“

Seine Bücher sind Bestseller. Er schreibt über gesunde Ernährung und Fitness, er kennt sich aus mit Zipperlein und innerem Schweinehund. Seinen eigenen, sagt Ingo Froböse, habe er dressiert. „Der weiß, dass mein Wohlbefinden über allem steht.“ Im Interview mit NextChapterNow spricht Deutschlands bekanntester Sportwissenschaftler über den Sinn und Unsinn der Diagnostik, die Weisheit des Alters – und warum es besser ist, den Körper öfter mal auf Nulldiät zu setzen. Und er verrät, warum Glaube hilfreich sein kann, guter Dinge durchs Leben zu gehen.

Luftaufnahme am Lake Eyre

Wie wird man denn nun 100 Jahre – und das einigermaßen fit und gesund?

Sagen wir so. Man darf sich nicht auf seine Gene verlassen, sie machen nur zehn Prozent unserer Lebensqualität aus. Natürlich gibt es einige Einflüsse, am Ende aber ist es so, dass wir fast alles selbst in der Hand haben. Das bedeutet, wir müssen unseren Lebensstil vernünftig anpassen, ihn optimieren. Über Ernährung, Bewegung und Regeneration. Das sind die Hauptschlüssel eines gesunden und langen Lebens.

Man liest jetzt viel über Insidetracker, die eigene Kontrolle von Blutdruck etwa, Sauerstoffsättigung, Herzratenvariabilität, solche Dinge, was halten Sie davon?

Diese ganze Diagnostik, die uns jetzt so angetragen wird, die macht ja keine Freude. Wir sind  immer nur auf der Suche nach Defiziten, nach Problemen und Risiken. Und ich finde auch, dass solche Dinge nicht in die Hände von Laien gehören. Diagnostik gehört zum Arzt, und sie muss auch nicht täglich durchgeführt werden, weil, das macht einen ja verrückt. Zum Leben gehört auch Leben und nicht nur die Angst davor, irgendwann mal krank zu werden.

Unser Medizinsystem ist nicht darauf ausgelegt, uns vor Krankheit zu bewahren, sondern letztendlich geht es darum, uns chronisch krank einigermaßen über Wasser zu halten.

Was empfehlen Sie stattdessen?

Ein Beispiel: Wir haben ein herausragendes Medizinsystem in Deutschland, aber wir sind, was Lebensqualität betrifft, in Europa Schlusslicht. Das heißt, wir agieren hier viel zu wenig, wir therapieren nur alles; was wir machen, ist ausschließlich symptomorientiert. Das heißt, wir reduzieren zwar das Risiko eines Blutdrucks, wir reduzieren das Risiko hoher Cholesterinwerte, aber wir haben keine vernünftigen Behandlungskonzepte. Unser Medizinsystem ist nicht darauf ausgelegt, uns vor Krankheit zu bewahren, sondern letztendlich geht es darum, uns chronisch krank einigermaßen über Wasser zu halten. Deswegen sind wir sehr früh multimorbid und haben beispielsweise ab dem 16. Lebensjahr nur noch sieben Jahre mit hoher Lebensqualität. Das ist viel zu wenig. Was ich also empfehle? Sich nicht allein auf die Medizin zu verlassen und die Risiken zu behandeln, sondern selbst Risiken vermeiden. Und das macht man am besten, indem man an den eben genannten Stellschrauben dreht: Bewegung, Ernährung, Regeneration.

Heißt konkret?

300 Minuten Bewegung in der Woche, mindestens. Davon zweimal in der Woche Muskeltraining, um die Muskelmasse zu erhalten. Zweitens: Regional, saisonal biorythmisch essen mit Pausen. Morgens energiegeladen, mittags nährstoffreich, abends eiweißreich und vor allen Dingen: ausreichend Flüssigkeit, Wasser aufnehmen. Davon die größte Menge morgens, vormittags und nicht am Abend. Und: Ausreichend Regeneration im Alltag einpflegen. Die Pause macht Sinn, ausreichend Schlaf. Mindestens siebeneinhalb Stunden sollte es für die meisten Menschen sein.

Das gilt für Frauen und Männer gleichermaßen?

Das ist erst einmal sehr pauschal. Wichtig auch: Licht, Sonne tanken. Vitamin D ist nämlich extrem bedeutsam. Auch Optimismus und Glück spielen bei der Langlebigkeit eine Rolle. Und vor allen Dingen: Verantwortung für etwas übernehmen! Soziale Kontakte pflegen, keine Isolation, sich eine Aufgabe suchen, sei es im Garten oder in irgendeiner Form eines Ehrenamtes. Das gilt erst einmal grundsätzlich und für alle Geschlechter unabhängig. Es gibt in der Welt Regionen, wo besonders viele Hochbetagte wohnen; man nennt sie Blue Zones, blaue Zonen. Die Wissenschaft schaut dort genau hin und analysiert, wie lange und wie gut die Menschen dort leben. Und diese Faktoren, die ich gerade genannt haben, tauchen dabei immer wieder auf.

Man muss ein Leben lang neugierig bleiben und nach neuen sozialen Kontakten suchen.

Das Soziale ist also auch wichtig?

Die Pflege der Menschen, der Freundschaften, der Liebe, das kommt häufig zu kurz, das ist auch eine Aufgabe, der man sich ein Leben lang sehr viel intensiver stellen sollte. In der aktuellen Zeit aber wird es ja noch weniger möglich durch die ganzen digitalen Kommunikationsformen, wo die persönliche Auseinandersetzung im positiven Sinne auf der Strecke bleibt. Man muss ein Leben lang neugierig bleiben. Es ist wichtig, Inspiration von neuen Menschen zu bekommen. Das fördert auch die Attraktivität im Leben. Also deswegen: Stabile soziale Netzwerke schaffen.

Welche Rolle spielt eine religiöse Grundhaltung?

Glaube versetzt ja bekanntlich Berge. Insofern ist Spiritualismus – nennen wir es nicht unbedingt Glaube – also die Hoffnung, dass einem geholfen wird, dass es Mächte gibt, die einen unterstützen in die richtige Richtung, auch sehr wichtig. Man braucht den Optimismus, dass man aus schwierigen Zeiten herauskommen kann. 

Darf ich fragen, wie religiös Sie sind?

Ich bin nicht religiös. Ich bin zwar noch kirchlich irgendwie registriert, aber ich gehe keiner Konfession nach in irgendeiner Form. Allerdings habe ich einen Glauben.

Einen Glauben? Woran?

An Mächte, an eine dritte Institution, die mir hilft oder geholfen hat, den Weg des Lebens vernünftig zu beschreiten. Ich hatte eine tolle, warme Familie, die mir alle Freiräume gab, die mir aber auch Erziehung beigebracht hat, die mich erzogen hat, die mir Wertschätzung mitgab. Und das alles hilft mir jetzt in meinem Leben, mit anderen Menschen besser umzugehen. Ich denke, deswegen bin ich auch ein sozialer Mensch.

Wie motivieren Sie sich?

Ich achte sehr darauf, dass das, was ich tue, zu einem positiven Erlebnis führt. Also, wenn ich Sport treibe, achte ich darauf, dass ich danach beispielsweise ein positives, besseres Gefühl habe. Das gilt auch für meine Ernährung. Für mich ist eines der wichtigsten Dinge, morgens mit vollgetanktem Akku in den Tag zu starten. Und deswegen tue ich alles für ein positives Wohlbefinden. Es gibt bei mir wenig große Ausschläge nach oben und nach unten. Viele würden das „beige“ nennen, das stimmt aber nicht. Ich versuche immer, mich in einem Korridor des Wohlbefindens zu bewegen. Und das motiviert mich dann, weil ich selten diese niederen Nackenschläge erfahre oder total erschöpft oder kaputt bin.

Wie starten Sie in den Tag?

Mit einem großen Glas Zitronenwasser. Ich presse mir eine frische Zitrone aus, dazu lauwarmes Wasser, das schützt den Körper  vor einer Übersäuerung. Und dann esse ich verschiedene Sorten Brot oder Brötchen, heute etwa habe ich Kamutbrot gegessen, ein altes Korn. Und ich esse immer Müsli mit einer großen Portion Kürbiskernen. Da ist einerseits Chlorophyll drin, aber auch viel Eiweiß und viele Mineralstoffe, Spurenelemente. Dazu Haferflocken, die esse ich seit 65 Jahren jeden Tag; Feinblatt, damit der Körper nicht so viel Arbeit hat. Und jetzt kommt das Geheimnis: Ich nehme jeden Tag 2 Esslöffel Weizenkeime zu mir. Da ist Spermidin drin, ein Stoff, der Alterungsprozesse verlangsamt. Spermidin, das hat man nachgewiesen, ist die natürlichste Quelle überhaupt. Es hilft den Zellen bei der Teilung, die Länge der Telomere bleibt erhalten und wird sogar vergrößert. Telomere sind die Schutzklappen der Chromosomen und spielen im Alterungsprozess eine zentrale Rolle.

Altern ist letztendlich eine zweite Pubertät mit neuen Herausforderungen.

Es gab gerade eine interessante Reportage auf Arte zum Thema Altersforschung. Alle der zu Wort kommenden Wissenschaftler fasteten in irgendeiner Form. Was halten Sie davon?

Wir reden dabei im weitesten Sinne über die sogenannte Autophagie. Die Autophagie lässt sich mit Selbstverdauung übersetzen, sie ist die Müllabfuhr der Zellen, ihr Sinn ist es, ein Gleichgewicht im Körper herzustellen. Es geht darum, die Zellen mindestens einmal in der Woche dazu zu bringen, sich selbst wieder zu reinigen. Andernfalls sterben Zellen schneller – und das bedeutet vorzeitiges Altern. Aber Autophagie passiert eben nur in der Fastenzeit, also in Zeiten der Nahrungskarenz.

Was empfehlen Sie?

In unserer Wohlstandsgesellschaft haben alle ständig Angst zu verhungern, ständig werden irgendwelche Snacks oder kalorienreiche Getränke zu sich genommen, dazu gehört übrigens auch der Latte Macchiato und der Cappuccino. Viele essen zwischendurch auch noch viel zu viel Obst, weil sie meinen, dass Obst gut wäre. Dabei hat Obst unheimlich viel Fruktose. Esspausen heißt Pausen. Und dazu gehören eben auch Obstpausen und Trinkpausen. Wir können den Prozess der Autophagie nur anregen, indem wir längere Pausen zwischen den Mahlzeiten einlegen. Dabei gibt es zwei verschiedene Varianten. Die erste Variante ist das klassische Intervallfasten, wie das inzwischen ja viele machen; da stoppt man 12 bis 18 Stunden die Nahrungsaufnahme. Es beginnt aber auch schon alltagsnah im Bereich von 4 bis 6 Stunden. Ich selbst esse in der Regel morgens und abends und dann nichts mehr. Das heißt, ich habe ein Zwölfstundenfenster. Die letzte Mahlzeit nehme ich so zwischen 18 und 19 Uhr zu mir, wenn es geht. Geht nicht immer. Wenn ich zum Beispiel auf der Bühne bin, dann mach ich es ganz anders. Dann esse ich morgens und mittags – und dann eben abends nichts mehr. Mir ist der Schlaf sehr wichtig. Ich sagte ja: Ernährung, Bewegung und Regeneration sind die Schlüssel. Und zur Regeneration heißt für mich auch ausreichend Schlaf. Den Schlaf möchte ich nicht belasten, indem ich zu viel zu spät esse.

Sie gehen sehr strukturiert vor – und denken viel über das Wohlbefinden nach?

Ich denke schon darüber nach. Aber ich gehe nicht in die Kathedrale der ausschließlich gesunden Ernährung. Ab und zu gehe ich mit Freunden auch Essen, ist natürlich klar. Wir sind ja auch Kulturmenschen. Und zur Kultur gehört eben auch gerade in unseren Breitengraden gutes Essen, und das mache ich auch. Für mich aber ist die oberste Leitlinie Qualität. Wenn ich also sehe, die Qualität ist nicht gut, dann esse ich das auch nicht. Ich würde mir niemals in einem Bahnhof irgendetwas kaufen oder in einer Imbissbude. Das mache ich schon sehr bewusst, ich gehe für schlechtes Essen nicht laufen.

Sind Sie Vegetarier?

Nein, bin ich nicht. Ich freue mich auf jedes Stück Fleisch und jedes Stück Fisch. Ich liebe Fisch. Ich esse ihn wahrscheinlich mindestens drei bis viermal in der Woche.

Auf Fleisch verzichten der Gesundheit wegen macht keinen Sinn?

Ich esse schon auch ab und zu mal Rinderfilet oder ein Rumpsteak, warum auch nicht? Aber eben das sehr selten. Aus ökologischen Gesichtspunkten zum Tierwohl kann man natürlich absolut darüber diskutieren. Da bin ich auch ein Freund von. Ich esse auch nur das Fleisch, von dem ich weiß, wo es herkommt.

Der Körper ist letztendlich so anpassungsfähig, dass man auch im Alter neue Dinge entwickeln kann, dass man selbst neue Dinge lernen kann.

Welche Rituale pflegen Sie; wie wichtig sind sie?

Natürlich habe ich mein Sportritual. Ich hab ein Frühstückritual, und ich habe auch Rituale in der Kommunikation mit meiner Frau. Wir setzen uns jeden Abend hin und tauschen uns mindestens eine Stunde aus. Ich setze mir auch selbst Grenzen. Ich habe etwa kein inneren Schweinehund mehr, ich habe ihn so trainiert, dass er genau weiß, dass mein Wohlbefinden über allem steht. Deswegen plane ich auch meine Freizeit als allererstes im Jahr. Das heißt also, meine Frau und ich machen unseren Freizeitkalender immer schon im September, Oktober des Vorjahres und erst danach kommen die Arbeitszeiten, die Arbeitsaufgaben.

Wie sieht so ein Freizeitkalender aus?

Wir nehmen uns immer zyklisch in bestimmten Monaten frei. Zwei Wochen weg, vier Wochen hier, zwei Wochen weg, vier Wochen hier. Ich versuche, Freiräume über das ganze Jahr zu gestalten. Regeneration, also Pausen machen. Raus aus den Zwängen des Alltags, hin zu einem abwechslungsreichen, neuen, inspirierenden Erleben.

Haben Sie spezielle Orte dafür?

Unser großer Sehnsuchtsort ist der Gardasee, oben in Riva im Norden. Dort sind wir viel. Ich arbeite auch dort, schreibe meine Bücher alle dort. Für uns ist es die sportlichste Gegend Europas. Da wird geklettert, geradelt, gelaufen, gewandert, gesurft.

Das klingt, als wären Sie mit sich und allem im Reinen. Auch mit dem Alter? 

Alter ist ja keine Krankheit. Und Midlife Crisis ist auch keine Krise. Es ist der Aufbruch in eine neue Zeit. Ich habe heute 400 Prozent mehr Erfahrung als ein 20-Jähriger. Ich denke zwar etwas langsamer, aber etwas differenzierter und genauer. Ich habe einen Rückblick, von dem ich sagen kann: Du hast Gutes geschaffen. Ich habe keine Zukunftsängste mehr, und ich habe immer noch eine schöne Zukunft vor mir. Wenn ich also das Alter mental annehme, hat es unheimlich viele gute Seiten. Ich muss natürlich ein bisschen meine Leistungsfähigkeit im Blick behalten. Bin ich früher ein sprintfähiger Mann gewesen, bin ich heute ein sehr ausdauernder Mann. Das heißt also, ich habe meine Fähigkeiten verändert, verlagert. Der Körper ist letztendlich so anpassungsfähig, dass man auch im Alter neue Dinge entwickeln kann, dass man selbst neue Dinge lernen kann. Ich selbst bin ja jetzt fast 67 und gerade habe ich mit einem sehr engen Freund ein neues Unternehmen gegründet, eine Denkfabrik für Prävention und Gesundheitsförderung. Ich lerne dabei auch von den jungen Menschen, und das macht Freude. Man muss in jeder Lebensphase in der Lage sein, sich neu zu orientieren. Altern ist letztendlich – und da bin ich ja jetzt gerade drin, eine zweite Pubertät mit neuen Herausforderungen.

Zur Person: 

Prof. Dr. Ingo Froböse ist Universitätsprofessor für Prävention und Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule Köln und leitet dort das „Institut für Bewegungstherapie“. Er arbeitet als Sachverständiger des Bundestages in „Fragen der Prävention“ und als wissenschaftlicher Berater für Gesundheitsvorsorge bei Krankenkassen. Er war mehrfacher deutscher Vize-Weltmeister im Sprint.

Buch-Tipp:
Uralt werden und dabei nie oder selten krank sein – davon träumen die meisten. Ingo Froböse zeigt, wie man durch die richtigen Lebensgewohnheiten, regelmäßige Bewegung und einen geeigneten Ernährungsstil diesem Ziel näher kommt. 

„Die Gesundheitsformel der 100-Jährigen –
7 Schlüssel für ein langes Leben“
Ingo Froböse
ZS – ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
192 Seiten
ISBN 978-3965840614

Außerdem im selben Verlag erschienen:
„Für Fitness ist es nie zu spät“
Zusammen mit „Fitness-Oma“ Erika Rischko zeigt Ingo Froböse, dass man auch in fortgeschrittenem Alter mit Sport beginnen kann.
Und:
„Die Beauty-Fitness-Formel –
Tag für Tag besser aussehen mit dem Stoffwechselprogramm“
Ingo Froböse verrät die wichtigsten Nährstoffe für eine frische, strahlende Haut und vitale Zellen

Mehr Infos hier: 

https://www.ingo-froboese.de/#forward

Zum Leben gehört auch Leben und nicht nur die Angst davor, irgendwann mal krank zu werden.