Anna von Boetticher, 53

Anna von Boetticher, 53

Apnoetaucherin

Anna von Boetticher, 53

 

Foto: Alois Maurizi

„Ab etwa 30 Metern höre ich auf zu schwimmen und lasse mich nur noch sinken“

Als Anna von Boetticher im Frühjahr 2007 einen Apnoe-Workshop belegte, ahnte sie nicht, dass sie wenige Monate später deutsche Tiefenrekorde brechen wird. Inzwischen zählt die gebürtige Münchnerin zu den  besten Apnoetaucherinnen weltweit. Ohne technische Hilfsmittel ist sie mit nur einem Atemzug  81 Meter tief getaucht, sie schwimmt mit Haien, Orcas und Mantarochen. Und sie ist das perfekte Beispiel dafür, dass jeder seinen Traum verwirklichen kann, wenn er es will.  

Luftaufnahme am Lake Eyre

Foto: Privat

Foto: Alois Maurizi

Sie tauchen seit Ihrem 17. Lebensjahr; wie ist es dazu gekommen?

Ich hatte schon als Kind den Drang, andere Welten zu sehen. Mit 17 hatte ich dann die Gelegenheit, meinen ersten Tauchschein zu machen, im Bodensee, es war Oktober. Bei Nieselregen gingen wir ins wirklich kalte Wasser, ab circa drei Meter Tiefe war es sehr dunkel, man sah kaum etwas. Ich aber war begeistert. Für mich war es eine faszinierende Entdeckungsreise.

Die meisten hätten wohl eher Angst bekommen.

Das ist ja der Witz daran. Ich dagegen fand es damals toll, das waren neue Welten. Da war Schlamm auf dem Boden, da waren alte Coladosen und Autoreifen, ein Aal kam aus dem Loch, ich fands interessant.

Kennen Sie keine Angst?

Ich habe ganz normal Angst wie alle anderen Menschen auch. Mich haben sogar mal Psychologen getestet, meine Werte sind völlig normal. Ich habe aber halt unter Wasser nie Angst, überlege dann eher, was ich als Nächstes machen muss. Aber Sie haben recht, vielen ist es ungemütlich zumute, wenn sie irgendwo an der Oberfläche schwimmen, unter ihnen das tiefe Unbekannte, sie haben dieses Gefühl von Ausgeliefertsein. Ich dagegen fand das immer faszinierend, und wollte und will auch heute noch immer gucken, was da unten so los ist. Ich möchte eintauchen, ich möchte ein Teil davon sein. Das heißt jetzt aber nicht, dass ich vor nichts Angst hätte.

Sondern? 

Spinnen, Kakerlaken, Krabbeltiere, das ist nicht so mein Ding. Ich springe auch von nichts herunter. Ich mag dieses Gefühl nicht, ich mag auch Achterbahn fahren nicht. Da hab ich zwar keine Angst, dass mir etwas zustößt, aber ich kann dieses Gefühl nicht leiden.

Wie bereiten Sie sich auf einen Tauchgang vor? Gibt es so etwas wie einen Routineablauf? 

Wie ich mich vorbereite, hängt sehr von den äußeren Umständen des Tauchgangs ab. Einen Wettkampftauchgang, in dem es um eine maximale Leistung geht, ist ja etwas anderes als ein Tauchgang für Entdeckungen an einem Ort mit schwierigen Bedingungen, wie zum Beispiel etwa im Eis. Auf jeden Fall gibt es immer einen Moment der Konzentration, bevor es losgeht.

Was müssen Sie auf dem Weg nach unten und nach oben beachten; was ist der schwierigste Teil? 

Bei Tauchgängen, in denen es um das Erreichen einer maximalen Tiefe geht, ist auf dem Weg nach unten das größte Problem der Druckausgleich in Ohren, Stirn und Nebenhöhlen. Ab einer bestimmten Tiefe wird der kompliziert – dann brauche ich meine ganze Aufmerksamkeit, um keinen Fehler zu machen und habe deshalb die Augen geschlossen. Gleichzeitig versuche ich, möglichst entspannt zu bleiben, um wenig Sauerstoff zu verbrauchen. Ab etwa 30 Metern höre ich auf zu schwimmen und lasse mich nur noch sinken. Unten angekommen, drehe ich mich und mache mich zügig auf den Weg nach oben – da heißt es, einen guten Rhythmus zu halten und sich nicht von brennenden Muskeln irritieren zu lassen. Ein Erkundungstauchgang dagegen ist eine ganz andere Geschichte – der ist vielleicht nicht sehr tief, hat aber unter Umständen ungewöhnliche Herausforderungen, wie etwa eine geschlossene Eisdecke über dem Kopf. Dann geht es zum Beispiel darum, die Orientierung zu behalten und sich in der Tauchzeit stark einzuschränken, um eine hohe Sicherheitsmarge zu haben.

Wie reagiert Ihr Körper auf die Gesamtsituation? 

Wir alle haben den so genannten Tauchreflex, der uns schützt, wenn wir mit dem Gesicht im Wasser sind und nicht atmen können. Es ist eine Art Sauerstoffsparmodus, eine Überlebensfunktion des Körpers, der bei Babys und Kindern besonders stark ausgeprägt ist. Diesen Mechanismus teilen wir übrigens mit Meeressäugern wie Delfinen, Walen oder Robben. Wenn wir mit dem Gesicht im Wasser eintauchen und dabei den Atem anhalten, registriert dieser Körper schnell, dass wir nicht atmen können. Er fängt an, Sauerstoff zu sparen. Dazu wird erst einmal die Herzfrequenz gesenkt – der Puls fällt in meinem Fall bis auf 30 Schläge die Minute, unter Umständen auch noch darunter. Nach einer Weile kommt dann noch eine Verengung der Gefäße hinzu, Blut wird aus Armen und Beinen abgezogen und umverteilt, um die lebenswichtigen Organe wie Herz, Lunge und Gehirn zu versorgen, die jetzt Priorität haben. Dabei erweitern sich die Gefäße zum Gehirn, damit es nach unten gut durchblutet wird. Dieser Vorgang ist sehr effektiv – im Erwachsenenalter wird er bei uns allen schwächer, aber durch Training kann man ihn wieder verstärken und sich so ein Stück weit an die Unterwasserwelt anpassen. Der Mensch ist ein Anpassungswunder. Das zu erleben, ist sehr faszinierend.

Ach habe ganz normal Angst wie alle anderen Menschen auch. Mich haben sogar mal Psychologen getestet, meine Werte sind völlig normal. 

Foto: NDR/Henning Rütten

Was ist das für eine Welt dort unten? 

Darauf gibt es zahllose Antworten. 80 Meter in einem deutschen See etwa sind anders als 80 Meter in der Karibik, offenes Meer anders als eine Steilwand in Ufernähe. Taucht man in die Tiefe des Mittelmeers weit vom Ufer entfernt, der Grund ist irgendwo, noch weitere hundert Meter entfernt, dann ist es in 80 Metern dämmrig, aber nicht komplett schwarz, wie man meinen könnte. Um einen herum ist glasklares Wasser, in alle Richtungen ist es blau. Schaut man nach unten, dorthin, wo sich das Meer bodenlos anfühlt, ist es schwarzblau, ein wenig wie in einer Wolkennacht, weit draußen irgendwo. Blickt man in die Ferne, in die man gefühlt endlos sehen kann, ist es das intensive Dunkelblau, das das Meer selbst oft hat, wenn man über die Wellen segelt. Nach oben hin wird es heller, durchscheinend, es ist klar, hier geht es zurück. Man sieht das Licht der Tiefe, das jedes mal anders ist – und immer faszinierend und schön. Mit diesem Licht bin ich ein Teil des Ozeans, es ist eine wunderschöne Welt.

Wie fühlt es sich an mit all dem Wasser um und über sich; kann man das mit irgendetwas vergleichen? 

Ich denke nicht, dass man diese Erfahrung mit etwas vergleichen kann. Ich denke auch, dass sie jeder anders erlebt – manche Menschen, auch erfahrene, sehr gute Apnoetaucher kennen den Moment der Angst in der Tiefe, in denen ihnen plötzlich bewusst wird, wie weit weg sie sind, von der Oberfläche. Ich persönlich hatte ihn nie, für mich ist es faszinierend zu spüren, wie sehr ich ein kleiner Teil in einem sehr großen, weiten Raum bin und inwieweit ich mich dort auch aufhalten kann. 

Was denken Sie dort unten?

Je nachdem, was ich dort unten gerade mache, variiert das natürlich. In einem Wettkampftauchgang bin ich erstmal froh, meine Tiefe erreicht zu haben und konzentriere mich dann sofort auf den Rückweg. In anderen Fällen möchte ich mir dort unten vielleicht etwas ansehen, dann fasziniert mich ein besonderer Anblick. Aber immer, egal wie oder warum ich tauche, nehme ich die Tiefe in mich auf – und wenn es nur das Licht ist, dass mich dort umgibt. Es ist jedes mal etwas Besonderes. 

Welche Ausrüstung tragen Sie?

Wir Apnoetaucher brauchen erst mal nur einen Neoprenanzug, eine Maske und Flossen. Man kann aber auch ganz ohne Flossen tauchen oder aber mit einer Monoflosse – ein wenig wie ein Delfinschwanz. Für den Sport und im Wettkampf kommt noch ein Tauchcomputer dazu, von dem man später Tauchtiefe und Zeit ablesen kann, sowie ein Lanyard, mit dem man zur Sicherheit mit einem Seil verbunden ist, an dem entlang man in die Tiefe taucht.

Etwas, was Sie gar nicht mögen, also aufs Tauchen bezogen? 

Ich mag es gar nicht, wenn kaltes Wasser mich berührt – ich schwimme zum Beispiel nicht gerne als Sport, weil mir die meisten Schwimmbäder mit 25 Grad zu kalt sind. Trotzdem bin ich immer wieder im und unter Eis getaucht – bei extremer Kälte unter und über Wasser, weil mich die veränderten Welten interessieren. Dann halte ich die eisigen Temperaturen eben aus – und es ist jedes Mal so spannend, dass ich die Kälte vergesse. Abgesehen von der Planung der Ausrüstung und Ähnlichem bereite ich mich aber nicht besonders darauf vor, ich mache es einfach. Gegen die Kälte wieder schützt nur der Neoprenanzug, allerdings auch nur bedingt, denn mehr als sechs Millimeter sind es nicht, im Eis der Gletscher nur 2,5 Millimeter.

Wie tief wollen Sie noch gehen? Wie tief kann ein Mensch überhaupt tauchen?

Was das angeht, habe ich keine Pläne. Zurzeit hat sich mein Fokus vom Erreichen einer maximalen Tiefe auf das Entdecken ungewöhnlicher Orte und Facetten der Unterwasserwelt verschoben. Wie tief ein Mensch tauchen kann, weiß niemand genau – in jedem Fall tiefer, als man dachte. 

Wann wird Apnoetauchen gefährlich?

Apnoetauchen ist tatsächlich ein sehr sicherer Sport, bei dem es kaum einen Grund gibt, schwere Verletzungen mit bleibenden Schäden davon zu tragen oder gar zu sterben. Das setzt allerdings voraus, dass man die Sicherheitsregeln beachtet, die in diesem Sport üblich sind, etwa: Tauche niemals alleine. Unsere größte Gefahr ist es, im Wasser ohnmächtig zu werden. Diese Ohnmacht kann immer vorkommen – meistens dauert sie nur Sekunden und ist an sich gar nicht schlimm, vorausgesetzt, es ist jemand da, der den Taucher sofort aus dem Wasser holt. Daher bitte niemals alleine, ohne Partner im Wasser den Atem anhalten. Auch nicht in öffentlichen Schwimmbädern – man braucht immer jemanden, der gezielt auf einen achtet. 

Was waren Ihre denkwürdigsten Begegnungen?

Ach, es gibt so viele davon! Eine, die mir besonders in Erinnerung geblieben ist, ist die Begegnung mit einem Orca. In Norwegen kommen im Winter große Heringsschwärme vorbei, die wiederum Buckelwale und Orcas anziehen, die die Heringe fressen. Wir trieben damals Mitte November im Dämmerlicht der Polarnacht in einem Fjord, es schneite. Wir hatten vom Boot aus Orcas gesehen und waren ins Wasser gegangen, doch im Moment war alles ruhig. Ich tauchte also ab ins dunkle Wasser und verharrte in circa 10 Metern Tiefe, als ich mit einem Mal schemenhaft etwas aus der Dunkelheit auftauchen sah – die schwarz-weiße Zeichnung eines großen Orcamännchens, das direkt auf mich zuschwamm. Im nächsten Moment spürte ich ein Vibrieren in der Brust – es war das Echolot, mit dem es mich abtastete, ich konnte es fühlen wie Bässe im Club. Es näherte sich bis auf etwa 2 Meter, umkreiste mich und kehrte dann zu seiner Gruppe zurück, die inzwischen im Hintergrund vorbei zog, inklusive Mütter mit Kälbern. Ein unvergleichliches Erlebnis.

Was hat das Leben Sie gelehrt – was hat das Tauchen Sie gelehrt?

Über die Arbeit als Tauchlehrer habe ich früh gelernt, Verantwortung zu übernehmen, auch für andere. Das Tauchen an sich hat mir erlaubt, Schritt für Schritt die Grenzen meines eigenen Könnens zu verschieben und über die vielen Erfahrungen mit sehr unterschiedlichen Herausforderungen zu lernen, in schwierigen Situationen handlungsfähig zu bleiben. Das ist etwas, was sich auf das ganze Leben überträgt. Das Leben wieder hat mich, wie uns alle, gelehrt, das weder Erfolge noch Rückschläge ewig dauern und mit den Höhen und Tiefen umzugehen, ohne mich darin zu verlieren. 

Was unterscheidet die junge Anna von der Anna von heute?

Wie jeder Mensch, der erwachsen wird, bin ich sehr viel selbstsicherer in meinen Entscheidungen geworden. Ich weiß, was ich wie machen möchte und was nicht – und warum. Das macht vieles einfacher. 

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Keine Ahnung! Ich bin gespannt, was sich bis dahin alles ergibt. Regisseur James Cameron ist mal in einem U-Boot 10 000 Meter zur tiefsten Stelle des legendären Marianengrabens abgetaucht. Später wurde er gefragt, warum er dieses Risiko eingegangen ist. Seine Antwort: „Weil es mein Herz mit Staunen erfüllt.“ Für mich kann ich sagen: „Mein Herz staunt jeden Tag.“

Tipp

Der Film
Der Filmemacher Henning Rütten hat Anna von Boetticher auf ihren aufregenden Abenteuern auf den Azoren, in Mexiko, auf Island und in Budapest begleitet. Entstanden ist daraus die vierteilige Dokumentation „Waterwoman“. Zu finden in der NDR-Mediathek

Das Buch
„In die Tiefe – Wie ich meine Grenzen suchte und Chancen fand“
Anna von Boetticher
Ullstein Verlag
208 Seiten
ISBN 978-3864930706

Mehr Informationen:
https://annavonboetticher.com

Ich tauchte ab ins dunkle Wasser und verharrte in circa 10 Metern Tiefe, als ich mit einem Mal schemenhaft etwas aus der Dunkelheit auftauchen sah – die schwarz-weiße Zeichnung eines großen Orcamännchens, das direkt auf mich zuschwamm. Im nächten Moment spürte ich ein Vibrieren in der Brust – es war das Echolot, mit dem es mich abtastete, ich konnte es fühlen wie Bässe im Club.

Bettina Putzig, 59

Bettina Putzig, 59

Triathletin

Bettina Putzig, 59

Fotos: Privat

„Ich weiß jetzt, ich kann alles erreichen, wenn ich es will.“

Bettina Putzig ist eine erstaunliche Frau. Die 59-Jährige aus Baden-Württemberg war zwar schon immer eher der sportliche Typ. Dann aber erkrankte sie zunächst an Hüftarthrose, kurze Zeit später erlitt sie einen Bandscheibenvorfall. Doch statt den Kopf in den Sand zu stecken oder etwas kürzer zu treten, tat sie das, was sie immer tat:  Vollgas geben – und mit dem Sport ging es für sie dann erst richtig los. Schwimmen, Radfahren, Joggen – Langdistanz. Bettina Putzig ist überzeugt: „Triathlon ist das Beste, was mir passieren konnte.“

Du hast schon immer Sport gemacht, zuletzt aber schien deine Karriere beendet.

Genau. Ich bekam die Diagnose Hüftarthrose und hatte einen Bandscheibenvorfall, das Bein war gelähmt. Zuerst dachte ich, okay, jetzt schlägt das Alter langsam zu, jetzt musst du mal schauen, was es für Alternativen gibt. Dann aber fiel mir Kraulen ein, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt keine wirklich gute Schwimmerin war. Mein Bruder besuchte damals ein Triathlon-Camp auf Lanzarote – und er riet mir: „Die nehmen auch Anfänger, probier es aus.“

Was passierte dann?

Dann telefonierte ich mit den Organisatoren und schilderte mein Problem. Die versprachen: „Kriegen wir hin.“ Und ich meinte: „Ihr wisst noch nicht, was auf Euch zukommt.“ Im Flugzeug auf dem Weg zum Camp fragte mich:  „Bist du eigentlich bescheuert? Was machst du überhaupt hier?“

Wie alt warst du zu dem Zeitpunkt? 

51 Jahre alt. Aber: Nach einer Woche konnte ich 25 Meter am Stück freihändig kraulen.

Trotzdem wollte man dich bei deinem ersten Triathlon aus dem Wasser ziehen.

Ja, weil ich so schlecht geschwommen bin. Aber denen von der DLRG hab‘ ich gesagt: „Lasst mal, ich schaff das.“ Ich war zwar die Letzte, die aus dem Wasser kam, aber ich sah aus wie die Siegerin. Seither ist Triathlon mein Ding.

Wie sieht dein Trainingsplan aus?

Bisher habe ich Freestyle gemacht. Aber jetzt fange ich an, nach Plan zu trainieren, auch wenn ich ihn hin- und wieder modifiziere. Ansonsten trainiere ich acht bis zehn Stunden. Dienstags ist Schwimmen, Mittwoch ist Intervalltraining, Donnerstag ist Schwimmen und Radfahren, Freitag ist manchmal frei, Samstag ist langes Radfahrern, Sonntag ist langes Laufen. Und montags geh‘ ich mit den Mädchen vom Betrieb walken.

Wie bekommst du das alles organisiert: Job, Sport, die Vorbereitung auf einen Wettkampf? Ist das alles nicht sehr zeitintensiv?

Das kriegt man schon alles hin, wenn man das will, die Freizeit wird einfach um den Sport herum geplant. Auch, als ich mich für die Langdistanz vorbereitet hatte, bin ich sozial nicht vereinsamt und habe mit meinen Mädels mal einen Sekt getrunken. Und wenn ich von der Arbeit die 14 Kilometer nach Hause jogge, ist der ganze Stress schnell wieder vergessen. Das fühlt sich dann an, als wäre ich drei Tage nicht mehr auf der Arbeit gewesen.

Wie geht es dir heute körperlich? Hast du Schmerzen?

Ja, vor allem nachts, wenn ich zur Ruhe komme. Ich habe noch immer Hüftarthrose beidseitig, habe inzwischen gerade auch eine neue Hüfte bekommen. Aber mit dem Triathlon habe ich deutlich weniger Schmerzen als ohne. Durch den Sport konnte ich die  Operation sogar sieben Jahre hinauszögern. Bei Arthrose muss man sich bewegen, das ist das A und O, weil dadurch die Durchblutung in den Gelenken verbessert wird. Natürlich kann ich die Arthrose nicht rückgängig machen, aber ich konnte sie verzögern, und das war mein Ziel. 

Auch mit künstlicher Hüfte machst du weiter?

Ich habe mich schon belesen, moderates Laufen wird sogar empfohlen. Man muss nur schauen, dass die Schuhe gedämpft sind. Aber dadurch, dass ich kein Anfängerin bin, weiß ich ja damit umzugehen. Ich habe auch keine Knieprobleme wie viele andere. Und um ehrlich zu sein, hatte ich auch nur zwei Optionen: Mir entweder mit Schmerzmitteln die Nieren oder die Leber zu zerstören oder mich operieren zu lassen. Ich habe dem Arzt gesagt: Im August ist die Saison zu Ende, danach machen wir den Eingriff. Und im Januar aber will ich dann mit Ski-Langlauf anfangen. Und ich bin auch schon für den Allgäu Triathlon angemeldet.

Wie motivierst du dich?

Ich weiß einfach, dass es mir nach dem Sport immer besser geht. Und oft es ist ja so, dass es sich umso besser läuft, je weniger Lust man zunächst hatte. Es ist aber auch nicht mehr so wie früher, dass ich mich bis zum Elend durchzwinge. Das ist mein Luxus, den ich mir gönne im Alter. 

Was können ältere Athleten besser als jüngere?  

Ich würde sagen: Mit Niederlagen umgehen, denn wir wissen, das es nicht das Ende der Welt ist. Am Ende interessiert der Wettkampf auch nur einen selbst. Der Rest sind Zahlen – und die sind schnell vergessen.

Was kannst du heute besser als früher?

Zulassen und gönnen können. Früher war ich wesentlich verbissener. Aber der Iron Man hat tatsächlich etwas in mir verändert. Ich muss heute niemandem mehr etwas beweisen, ich hab‘ das Ding gerockt, und das ist schon cool, das gibt mir eine gewisse Gelassenheit. Ich weiß jetzt, ich kann alles erreichen, wenn ich es will.

Das heißt, du fühlst dich wohl in deiner Haut?

Klar, wer will nicht gerne jung sein. Aber man muss das Beste aus jeder Situation machen. Ich jedenfalls will mir nichts von meinem Alter diktieren lassen. So lange das alles geht, so lange mache ich das. Ich sage immer: Der Sport ist meine Religion, und der Wald ist meine Kirche. 

Natürlich, wer will nicht gerne jung sein, aber man muss das Beste daraus machen. Ich jedenfalls will mir nichts von meinem Alter diktieren lassen.

Michael Martin, 60

Michael Martin, 60

Fotograf

Michael Martin, 60

 

„Mein Werkzeug ist die Kamera, ich brauche Bilder und Geschichten“

Man muss Michael Martin nicht fragen, was ihn antreibt. Ein Blick auf seine Fotos genügt. Zumeist sind es Naturaufnahmen, Bilder aus den abgelegensten Orten dieser Welt, Porträts einer einzigartigen Welt; einer Welt, die – zum Teil – im Sterben liegt. Michael Martin gehört zu den bekanntesten Reisefotografen Deutschlands. Seit über 40 Jahren ist er mit seiner Kamera in der Welt unterwegs. Er durchquerte die Wüsten, zog durch die Arktis und Antarktis, erreichte den Nord- und Südpol. Er hat über 30 Bücher veröffentlicht, zuletzt ist sein opulenter Bildband „Terra“ erschienen, ein Buch, in dem er die Reisen von fünf Jahren zusammenfasst, zugleich ist es ein Kniefall vor der Schönheit dieser Welt. In diesem Jahr wurde Martin 60 Jahre alt, kein Grund, etwas das Tempo rauszunehmen. Er sagt: „Das, was ich mit 20 gemacht habe, kann ich auch mit 70 noch tun.“

 

Luftaufnahme am Lake Eyre

Fotos: Michael Martin

Woher diese Neugierde?

Die Neugierde war immer da. Als ich mit 14 Jahren durch das Okular meines Fernrohrs schaute, habe ich den Jupiter und den Saturn gesehen und fand das super spannend. Später habe ich dann Geografie studiert, weil mich die Geschichte der Erde interessierte. Und auch jetzt, beim Projekt Terra, fand ich es super interessant, unsere Erde neu kennenzulernen und zu erfahren, aus was für einem Chaos die Erde kommt – und wie sie zu dem blauen Planeten wurde, den wir Menschen vor 180 000 Jahren vorgefunden haben. Man kann auch sagen: Meine Arbeit entspringt einem ganz tiefen Interesse. Dem Interesse an der Geografie und der Fotografie.

Wie hat sich das Reisen im Laufe der Zeit verändert?

Als ich mit 17 mit dem Mofa nach Marokko gefahren bin, habe ich zur Vorbereitung die deutsche Botschaft in Rabat angeschrieben mit der Bitte um Kartenmaterial und Informationen. Es gab keine detaillierten Straßenkarten damals, es gab kein Internet, es gab auch noch nicht diese alternativen Reiseführer. Und heute, da ist es beinahe egal, wo ich hinfahre, innerhalb von Sekunden habe ich detaillierte Informationen auf meinem Handy. Ich kann Unterkünfte buchen, Kontakt zu Guides aufnehmen, kann mir ein Auto mieten. Das macht es einfacher. Zugleich aber sind meine Reisen auch immer komplexer geworden, weil ich einerseits die immer höheren Erwartungen meines Publikums spüre und sie andererseits aber auch selbst an mich habe; so reise ich etwa in immer entlegene Gebiete.

Gab es schwierige Situationen?

Für das, was ich gereist bin, gab es wenige brenzlige Situationen, in der Regel aber habe ich eigentlich nur positive Erfahrungen gemacht. Denn als Weltreisender wird man tatsächlich oft mit offenen Armen empfangen. Reisen ist nicht gefährlicher als das Leben zu Hause. Und wenn man dazu die Regeln kennt, etwa weiß, dass man in einem Dorf erst mit dem Dorfältesten spricht, bevor man anfängt zu fotografieren, hilft das außerordentlich. Und: Ich lese die Seiten des Auswärtigen Amtes immer sehr genau. Und frage zusätzlich immer noch bei den Einheimischen nach.

Was unterscheidet den jungen Michael Martin von Michael Martin von heute?

Nicht so viel. Ich war schon immer ein Getriebener – und ich war schon immer perfektionistisch. Ich wollte schon immer die größte Leinwand, das beste Plakat, die besten Projektoren. Ich habe den Strom aus der Steckdose schon vor 30 Jahren von 220 auf 240 Volt hochgespannt, um noch mehr Licht aus dem Diaprojektor zu bekommen. Oder nehmen Sie die Bücher. Da wollte ich schon immer die beste Druckqualität. Im Privaten allerdings bin ich bei Weitem nicht so anspruchsvoll; ich brauche kein Büro mit irgendwelchen teuren Möbeln. Aber meine Ausstellungen oder Bücher und die Vorträge, das muss perfekt sein.

Ich war schon immer ein Getriebener – und ich war schon immer perfektionistisch.

Fotos: Michael Martin

Mit den Jahren haben Sie sicher Ihre Erfahrungen gemacht?

Absolut. Es hat auch Vorteile, ein alter Hase zu sein. Man greift auf einen Fundus aus Erfahrungen zurück: wie man etwa mit einem aggressiven Polizisten oder betrunkenen Militärs umgeht, wo man Benzin auftreibt, nach dem Weg fragt, auf Leute zugeht, um ein Bild zu bekommen. Und man bildet mit der Zeit Rücklagen. Corona etwa, das war für unsere Branche eine Katastrophe. Keine Reisen, keine Veranstaltungen. Mich aber hat es gar nicht gestört, weil ich das eher positiv gesehen habe, mich zwei Jahre mal mit anderen Dingen beschäftigen zu können und meine Bücher gut zu schreiben.

Die Zeiten sind nicht eben einfach für Fotografen. Wie kann man dennoch in der Branche bestehen?

Das Live-Erzählen von einer Reise, das ist meine Nische, da habe ich mir einen Namen gemacht. Insgesamt habe ich mehr als 2000 Diavorträge gehalten und stehe auch jetzt wieder mit „Terra“ auf der Bühne. Meinen ersten öffentlichen Vortrag hatte ich 1978, da war ich 15. Der hieß „Frei zu sein bedarf es wenig“. Es ging um meine erste Fahrradreise durch die bayerischen Alpen. Es kamen acht Zuschauer, jeder hat 3 Mark Eintritt bezahlt. Mit 17 habe ich dann meine erste Reise mit dem Mofa nach Afrika gemacht – und auch darüber habe ich einen Vortrag gehalten. Und so ging es immer weiter. Ich habe über 40 Jahre Steinchen für Steinchen aufgebaut und das daraus entstandene Gebäude ist stabil.

Reisen, fotografieren, präsentieren; nutzt sich auf Dauer nicht aber doch das Konzept etwas ab, also für einen selbst? 

Ich habe meine Themen ja immer wieder erweitert. Erst war ich nur in der Sahara unterwegs, dann in den Wüsten Afrikas, dann in allen Wüsten der Erde, dann habe ich das Eis bereist,  und jetzt schaue ich auf die ganze Erde. Ich habe mir quasi immer wieder selbst neue Projekte gestellt – und mir so meine Begeisterung über Jahrzehnte erhalten. Und das Gute ist: das, was ich mit 20 gemacht habe, kann ich auch mit 70 noch machen.

Was hat das Leben, was hat das Reisen Sie gelehrt?

Demut vor der Leistung von Milliarden von Menschen, ein erfülltes Leben unter viel schwierigeren Bedingungen als in Mitteleuropa zu führen.

Welche Rolle spielt das Alter?

Natürlich bin ich älter, bin nicht mehr so fit wie mit 30 und 25 Jahren, ich bin aber auch nie ein super sportlicher Mensch gewesen, insofern ist da nicht so ein Leistungsabfall zu befürchten. Ich bin dieses Jahr 60 geworden, aber ich spüre das Alter nicht, also im negativen Sinn. Das, was ich machen will, kann ich machen – und das hat weniger mit sportlicher Höchstleistung zu tun, sondern vielmehr mit dem Willen und der Mission. Mein Werkzeug ist die Kamera, ich brauche Bilder und Geschichten. Das treibt mich auf Berge oder in Gebiete, wo es anstrengend ist. Wenn ich diese Mission nicht hätte, würde ich schön die Finger davon lassen und dann ganz normal durchs Allgäu wandern.

Mit welchem Blick schauen Sie heute auf die Welt? Als Sie die ersten Reisen gemacht haben, war ja zumindest gefühlt alles noch intakt.

Ach, da war auch nicht alles intakt. Denken Sie an den sauren Regen, denken Sie an Tschernobyl, denken Sie an den Kalten Krieg. Denken Sie an die großen Hungerkatastrophen in Afrika, Biafra, Äthiopien. Das war auch keine heile Welt. Wenn ich zwei Entwicklungen sehe in den vergangenen 40 Jahren, ist es einerseits der Klimawandel, der massive Veränderungen gebracht hat – und zum anderen der Kulturwandel, das ist eigentlich das Auffälligste. Früher habe ich viel mehr traditionelles Leben weltweit erlebt. Und während wir in Mitteleuropa zumindest eine freie Gesellschaft, einen Rechtsstaat, ein Gesundheitssystem bekommen haben, haben viele Menschen in den ärmeren Regionen ihren Kontext verloren. Mit dem Fortschritt kam oft auch die kulturelle Entwurzelung.

Was ist besser geworden?

Viele Dinge sind besser geworden, die Bevölkerungsentwicklung ist abgebremst, die Bevölkerungsexplosion ist vorbei. Wir haben keine 2,2 Prozent Wachstum mehr, sondern nur noch gut 1 Prozent. Es gibt viel mehr Krankenhäuser auf der Welt, viel weniger Mütter sterben im Kindbett. Die Kinder sind geimpft, es gibt eine bessere Wasserversorgung, die Armut ist reduziert. Und es hat sich in vielen Ländern eine Mittelschicht gebildet.

Wie behält man den positiven Blick?

Man muss immer beide Seiten sehen. Wir haben Corona besiegt, Aids im Griff, im Rhein schwimmen keine toten Fische mehr; das sind ja auch alles Meilensteine. Sicher, es gibt viele negative Entwicklungen auf der Welt, zum Beispiel diese himmelschreiende Ungerechtigkeit zwischen Nord und Süd, die Schere geht immer weiter auf. Aber es gibt auch viele gute Entwicklungen. Man muss es differenziert sehen.

Sind Sie Optimist?

Ich bin weder Optimist noch Pessimist. Ich glaube an die Klugheit der Menschheit, ich bin kein Typ, der den Kopf in den Sand steckt. Sicher, es ist vieles ganz furchtbar. Aber am Ende des Tages glaube ich, dass wir für viele Dinge, die uns jetzt noch als unlösbar erscheinen, dass wir da eine Lösung finden werden. Als ich studiert habe, prophezeite der Club of Rome das Versiegen der Erdölquellen. Aber es ist völlig anders gekommen. Und so werden wir irgendwann auch den Klimawandel in den Griff bekommen.

Was kommt als Nächstes, welche Pläne haben Sie? 

Ich habe so ein paar Ideen. Aber wie ein Schriftsteller, der gerade ein Buch abgegeben hat, habe ich nicht gleich das nächste Projekt in der Schublade; ich überlege noch hin und her. Aber das ist ja auch das Schöne am Älterwerden, dass man entspannt sein kann.

Buch-Tipp
TERRA – Gesichter der Erde,                
Text- und Fotografie: Michael Martin
Knesebeck-Verlag
Gebunden mit Schutzumschlag
448 Seiten
ISBN 978-3-95728-337-5

Mehr Informationen:
https://www.michael-martin.de

Ich bin dieses Jahr 60 geworden, aber ich spüre das Alter nicht, also im negativen Sinn. Das, was ich machen will, kann ich machen – und das hat weniger mit sportlicher Höchstleistung zu tun, sondern vielmehr mit dem Willen und der Mission.